Aus Passa wird Ostern
Wenn Ostern der wichtigste christliche Feiertag ist, warum wurde es in der Kirche der ersten 300 Jahre nicht allgemein gefeiert?
Wie Ostern ein kirchliches Hochfest wurde, ist Beispiel einer Inkulturation - der Vermischung der Kultur der neutestamentlichen Urkirche mit heidnischen Kulturen, bis daraus ein neues Ritual entstand. Die ursprüngliche Passafeier, wie sie Jesus Christus und seine ersten Jünger begingen, wurde durch ein Fest ersetzt, das nicht seines Todes gedenkt, sondern seiner Auferstehung. Eigentlich ist Ostern ein altes heidnisches Fruchtbarkeitsfest und hat mit der Praxis der Urkirche nichts zu tun.
Fast drei Jahrhunderte lang prägte die Auseinandersetzung um das Datum des neuen Festes, bekannt als „Quartodecimus-Kontroverse“, das gesamte Römische Reich. Im Jahr 325 entschied das Konzil von Nizäa zugunsten von Ostern, und 341 bestätigte die Synode von Antiochia diesen Beschluss. Obwohl die Synode forderte, alle zu exkommunizieren, die sich der Neuerung widersetzten und sie aus dem Reich zu verbannen, war die Frage damit nicht erledigt: Die Anhänger der urkirchlichen Praxis hatten starke Argumente.
ABGRENZUNG VOM JUDENTUM
Als quartodecimani (lat. „die vom 14.“) wurden jene Nachfolger Jesu bezeichnet, die seinen Tod feierten, wie es die Urkirche getan hatte. Sie hielten am 14. Tag des hebräischen Monats Nisan, dem Tag des jüdischen Passafestes, eine Gedenkfeier ab. Viele andere, der Kirche in Rom folgend, fanden es störend, dass sich das Datum des Osterfestes nach der jüdischen Datierung des Passas richtete. Sie wollten am Sonntag nach dem ersten Vollmond des neuen Jahres Christi Auferstehung feiern. Nach dem Julianischen Kalender begann das Jahr zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche. So fällt Ostern immer auf Freitag bis Sonntag, während der 14. Nisan auf einen Montag, Mittwoch, Freitag oder Samstag fallen kann, aber nie auf einen Sonntag.
Wie stark die Abneigung gegen Juden und Quartodecimaner war, zeigt sich deutlich in den Worten des Kaisers Konstantin, als er die vom Konzil von Nizäa beschlossenen Änderungen verkündete: „Es erschien unwürdig, dass wir bei der Feier dieses heiligsten Festes der Praxis der Juden folgen sollten, die sich auf so unehrbare Weise mit enormer Sünde die Hände schmutzig gemacht haben und es deshalb verdient haben, mit einer Blindheit ihrer Seele geschlagen zu sein. . . . Lasst uns deshalb nichts mit dem verabscheuungswürdigen jüdischen Haufen gemeinsam haben; denn wir haben von unserem Erlöser einen anderen Weg empfangen; zu unserer heiligsten Religion ist ein Weg offen, der ebenso rechtmäßig wie angebracht ist. Liebe Brüder, lasst uns einstimmig diesen Weg annehmen und uns zurückziehen von jeglicher Teilnahme an ihrer Niedrigkeit. Denn es ist gewiss abwegig, dass sie sich brüsten können, dass wir ohne ihre Anweisung unfähig wären, diese Feiertage zu halten“ (Eusebius, Leben des Konstantin 3.18.2-3).
Dass Konstantin über den Ursprung von Ostern grob falsch informiert worden war, ist offensichtlich. Tatsächlich verschleierte die Einfachheit des kaiserlichen Edikts einige der echten Probleme. So wurde die Kontroverse, die zum Konzil von Nizäa geführt hatte, bis mindestens zum Ende des Jahrhunderts intensiv weitergeführt.
Bischof Eusebius von Cäsarea, der Chronist des Konzils, überliefert das Zeugnis des Irenäus, der gegen Ende des 2. Jahrhunderts Bischof von Lyon war, über den ersten Vorwand für die Änderung des neutestamentlichen Passafestes. Laut Irenäus begann die Kontroverse zur Zeit des Bischofs Xystus (Papst Sixtus I., um 115-125), und seither wurde der 14. Tag im Westen nicht mehr gefeiert (Kirchengeschichte 5.24).
Darüber hinaus behauptete der römische Bischof Pius im Jahr 147, sein Bruder Hermes habe von einem Engel den Befehl erhalten, dass Ostern am „Tag des Herrn“ zu feiern sei und nicht am 14. (Joseph Bingham, The Antiquities of the Christian Church, 1855). Nach den Chroniken der Kirche Roms beruht die Feier des Osterfestes also nicht auf einer Anweisung und Lehre Jesu, sondern auf einer angeblichen Engelsvision über 100 Jahre nach seinem Tod.
Dass die Kirche im 2. Jahrhundert derartige Behauptungen als Echtheitszeugnis ihrer Doktrin heranzog, zeigt, wie weit sie von der Lehre der Apostel abgewichen war.
Dass die Kirche im 2. Jahrhundert derartige Behauptungen als Echtheitszeugnis ihrer Doktrin heranzog, zeigt, wie weit sie von der Lehre der Apostel abgewichen war.
Konstantins Edikt ging auch über die Tatsache hinweg, dass das Passafest für die Quartodecimaner dem Gedenken an den Tod Christi galt, während an Ostern vor allem seine Auferstehung gefeiert wurde. Hierdurch entstand eine große theologische Kluft zwischen den Befürwortern und den Gegnern der hebräischen Tradition.
VERTEIDIGER DES GLAUBENS
Polykarp, ein Jünger des Apostels Johannes (siehe Archiv: „Kurzbiografien einflussreicher Persönlichkeiten“), reiste nach Rom, um Harmonie zwischen den beiden Denkrichtungen zu stiften, doch ohne Erfolg. Sein Nachfolger Polykrates (siehe Archiv: „Kurzbiografien einflussreicher Persönlichkeiten“), bezeichnete sich als den achten in der Folge der Bischöfe in Kleinasien, die den 14. als Tag des Gedenkens an den Tod Christi beibehalten hatten (Kirchengeschichte 5.24).
Ein Zeitgenosse des Polykrates war Melito von Sardis (in Kleinasien). Auch er schrieb im späten 2. Jahrhundert, das neutestamentliche Passafest solle am 14. gefeiert werden. In einer Predigt über das Passafest ging er sogar noch weiter als die uns überlieferten Berichte von Polykarp und Polykrates. Aus dem Tod Christi als Passalamm leitete er ab, dass die Christen den Sauerteig (Hefe) aus ihrem Leben entfernen müssten - der Sauerteig stand dabei für die Sünde. Dies erinnert an den Brief des Paulus an die Korinther (1. Korinther 5, 7-8). Außerdem zeugt es von einem Verständnis der Abfolge der Feste, wie sie im 2. Buch Mose umrissen und von den Juden bis heute eingehalten wird. Es verdeutlicht die Beziehung des Passafestes zu anderen Festen - eine Beziehung, die durch die neue Ausrichtung der Feier auf die Auferstehung verloren ging.
Rund 50 Jahre nach Eusebius und dem Konzil von Nizäa schrieb Epiphanius, ein weiterer Kirchenhistoriker, dass es im Reich noch Christen gab, die trotz des kaiserlichen Edikts am 14. festhielten. Er katalogisierte [deshalb bekannt als „Ketzerkatalog“] die Gruppen, die behaupteten, Jesus Christus zu folgen, für ihn aber Ketzer waren. Zu ihnen zählten die Audianer - eine Gruppe, die weiterhin gleichzeitig mit der jüdischen Gemeinschaft das Passafest feierte. Epiphanius zufolge waren sie der Ansicht, die Kirche habe „den Brauch der Väter aufgegeben, . . . um dem Kaiser gefällig zu sein“ (Panarion 70.9.3). Auch verbanden die Audianer das neutestamentliche Passafest mit der Feier des Festes der Ungesäuerten Brote. Der Anführer der Gruppe wurde angeblich von Konstantin aus dem Reich verbannt. Die Überzeugung der Menschen änderte sich dadurch allerdings nicht. Da sie in dieser Frage nicht kompromissbereit waren, erließ der spätere Kaiser Theodosius (379-395) Gesetze gegen die Audianer: Sie durften keine Zusammenkünfte mehr halten und wurden nicht nur mit Enteignung, sondern auch mit dem Tod bestraft.
Zwar nennt Epiphanius den geographischen Standort der Audianer nicht, doch wir wissen, dass im syrischen Antiochia noch mindestens ein Jahrzehnt, nachdem er schrieb, das Passafest am 14. gefeiert wurde. Der dortige Bischof Johannes Chrysostomus predigte in den Jahren 386 und 387 gegen Christen, die dafür waren, das Passafest und andere Feiertage weiterhin gemeinsam mit den Juden in Antiochia zu begehen, statt an den Tagen, die durch nachapostolische oder kaiserliche Edikte festgelegt worden waren. Von diesen Predigten sind acht überliefert. Mit anderen Worten: Über 60 Jahre nach dem Konzil von Nizäa wurde die Praxis, das Passafest wie die Apostel mit Jesus Christus zu feiern, von Menschen, die sich als treue Nachfolger verstanden, noch immer aufrechterhalten.
AKZEPTABEL FÜR DIE MASSEN
Für die meisten Christen war jedoch im Lauf mehrerer Jahrhunderte aus einer Feier mit tiefen Wurzeln im biblischen Passa ein Fest geworden, das aus heidnischen Auferstehungsmythen stammt. Doch weder im Alten noch im Neuen Testament gibt es eine Anweisung für eine solche Änderung. Die Kreuzigung des Gottessohnes war, wie der Apostel Paulus wusste, für die meisten Heiden schwer vorstellbar (1. Korinther 1, 20-25). Der Opfertod eines solchen Menschen, als wäre er ein gemeiner Verbrecher, kam den Massen unsinnig vor. Die Vorstellung einer Auferstehung, die ja an bereits bestehende heidnische Ideen anknüpfte, war viel leichter zu akzeptieren.
Und so ist Ostern heute eines der beiden christlichen Hochfeste. Es wird überall gefeiert, und kaum jemand hinterfragt seine Ursprünge. Außerdem stellt kaum jemand die wichtigere Frage: Gebieten die hebräische Heilige Schrift und die Schriften der Apostel, die Auferstehung Jesu zu feiern oder am Passafest seines Todes zu gedenken?