Die Ehe - Geheimnis und Sinn
Die Ehe im 21. Jahrhundert gibt es in allen Formen, Größen, Farben und Geschmacksrichtungen. Das war allerdings nicht immer so. Unsere Gesellschaften befinden sich in einem allgemeinen Wandel, und so wandeln sich auch die Vorstellungen der Menschen von der Ehe, und man fragt sich, welche Art von Gemeinschaft wohl überleben wird.
Viele sind zu dem Schluss gekommen, dass fundamentale Aspekte in unserer Gesellschaft fehlerhaft sind und verbessert werden müssen. Die Ehe, die lange als Grundstein der Gesellschaft galt, ist von diesem Wunsch nach Veränderung verständlicherweise nicht ausgenommen. Doch werden die Menschen in dem Bestreben, die Ehe neu zu formen und zu verbessern, aufgeklärter - oder erfinden sie ein uraltes Rad neu?
Bevor wir althergebrachte Vorstellungen von der Ehe abtun, müssen wir die Veränderungen verstehen, die bereits stattgefunden haben. Historisch gesehen wurzeln viele unserer Überzeugungen, die diese uralte Institution definieren, im traditionellen Christentum. Leider haben die institutionalisierten Kirchen ihre eigenen Wurzeln weitgehend vergessen und stellen Tradition und Philosophie über die Schrift, die sie die heilige nennen. Die Institution Ehe hat darunter erheblich gelitten.
DER GNOSTISCHE EINFLUSS
Um herauszufinden, woher diese traditionellen christlichen Kirchen ihre Auffassung von der Ehe haben, ist es hilfreich, etwas über eine religiöse Bewegung zu wissen, die neben dem frühen Christentum bestand und sich im Lauf der Zeit mit ihm vermischte. Der Gnostizismus (vom griech. Gnosis, „Erkenntnis“) lässt sich vergröbert als eine synkretistische Religion definieren, die stark von christlichen Einflüssen geprägt wurde. Es ist dieser Synkretismus, dieses Aufpfropfen christlicher Themen auf eine im Wesentlichen heidnische Philosophie, was als Grundlage der Vorstellung von der Ehe gedient hat, die sich im Lauf der Jahrhunderte entwickelte.
Tief verankert im Gnostizismus war orientalischer Dualismus, der später unter griechischem Einfluss in vielfacher Weise Ausdruck fand. Dieser Dualismus identifizierte die stoffliche Welt als den Sitz des Bösen und lehrte folglich auch, dass die körperliche Existenz des Menschen im Wesen böse sei.
Mit dieser dualistischen Philosophie ging eine Haltung bewusster Gleichgültigkeit gegenüber der stofflichen Welt einher. Ehe und geschlechtliche Fortpflanzung wurden dementsprechend entweder als absolut böse oder insgesamt als wertlos angesehen, und sexueller Genuss galt oft als verboten.
Diese Auffassung von Ehe und geschlechtlicher Fortpflanzung hatte ihre Wurzeln in mystischen Religionen, die existierten, lange bevor Christus auf die Erde kam; und wurde zu einer Grundlehre des traditionellen Christentums, als es sich unter dem zunehmenden Einfluss Roms entwickelte. Vergeblich bemühten sich einige frühe Kirchenväter, dem Eindringen gnostischen Denkens in ihre Religion entgegenzuwirken - der Gnostizismus schlich sich trotzdem durch seine synkretistischen Tendenzen in das Christentum ein und brachte eine Vielzahl sakramentaler und mystischer Ideen mit. Einige Historiker sehen hierin einen der einflussreichsten Faktoren in der frühen Entwicklung des traditionellen Christentums.
So machte sich die Kirche schon im ersten und zweiten Jahrhundert eine weitgehend heidnische Auffassung von Ehe und Sex zu Eigen. Die institutionalisierte Religion übernahm nach ihrer ersten Generation etwas vom heidnischen Dualismus Griechenlands und versah alles Sexuelle mit dem Etikett „Sünde“. Während der folgenden Jahrhunderte wurden die moralischen Normen in ganz Europa von der immer mächtiger werdenden römisch-katholischen Kirche bestimmt, und das Etikett blieb als moralischer Standard haften.
Die Auffassung, Ehe und Sex seien irgendwie schlecht und niedrig - Sex sei nur zum Zweck der Fortpflanzung erlaubt -, brachte die Ehe in eine schwierige Situation. Ihr wurde eine wichtige Quelle der Freude und des Glücks genommen, die aus dieser Gemeinschaft hervorgehen sollte. Doch genau dies war die Art Ehe, die viele unserer Vorfahren als normal ansahen.
Diese vom traditionellen Christentum propagierte repressive „Normalität“ begann allerdings nicht erst mit den Gnostikern. Der wahre Ursprung dieser Haltung wird bereits in der Bibel identifiziert und ist etliche Jahrtausende älter als der Gnostizismus.
ZURÜCK ZUM ANFANG
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, heißt es in 1. Mose 1, 1. Gott schuf die materielle Umwelt mit Land, Atmosphäre, Meeren, Pflanzen und Tieren als Lebensraum für die Krone seiner Schöpfung, den Menschen. Er sprach: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“ (Vers 26), und so schuf er den Menschen nach seinem Bild. Über keinen anderen Aspekt seiner Schöpfung hat er das gesagt.
Gott wird auch als Urheber von Ehe und Sex gezeigt; was aus den ersten Kapiteln der Bibel sehr deutlich wird. Nachdem Gott den Mann und die Frau geschaffen und ihnen geboten hatte, sich zu mehren, verkündete er: „. . . alles, was er gemacht hatte . . . war sehr gut“ (Vers 31). Im zweiten Kapitel der Genesis, dem 1. Buch Mose, das mehr Einzelheiten über die Schöpfungswoche berichtet, wird uns gesagt, dass Gott die Frau aus dem Mann schuf und dass ein Mann Vater und Mutter verlassen würde, um als ein Fleisch mit seiner Frau zusammengefügt zu sein. So schuf Gott die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, und er bestimmte Sex zu einem Bestandteil der ehelichen Beziehung.
Die Beziehung zwischen Adam und Eva hatte absolut nichts mit Schande oder Schuld zu tun. Woher kam dann jene Auffassung von Sex als etwas Schändlichem?
Das zweite Kapitel des 1. Buches Mose schließt mit der Aussage, dass die beiden Menschen nackt waren, sich aber nicht schämten. Wie gegensätzlich ist diese Haltung doch zu der, die später im Namen von „Christentum“ im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus aufkam! Die Beziehung zwischen Adam und Eva hatte absolut nichts mit Schande oder Schuld zu tun. Woher kam dann jene Auffassung von Sex als etwas Schändlichem?
Im dritten Kapitel der Genesis, dem 1. Buch Mose, wird eine Schlange vorgestellt, die den Feind der Lebensweise Gottes symbolisiert: Satan. Der Bericht schildert, wie dieser Feind Adam und Eva dazu brachte, Gottes Weg - symbolisiert durch den Baum des Lebens - zurückzuweisen und stattdessen selbst zu bestimmen, was Gut und Böse sei - eine Haltung, die bis in die heutige Zeit überlebt hat.
Weil sie sich so entschieden hatten, wurde die schöne Beziehung, die Adam und Eva hatten und die sich in ihrer unbefangenen Nacktheit ausdrückte, zunichte gemacht. In 1. Mose 3, Vers 7 lesen wir, dass ihnen wegen ihrer Sünde „die Augen aufgetan“ wurden; sie erkannten, dass sie nackt waren und versteckten sich deshalb vor Gott. Sie schämten sich plötzlich ihrer Nacktheit und begannen Schuld zu empfinden.
Hier ist also der Ursprung der Vorstellungen, die Körperlichkeit des Menschen sei im Wesen böse, und Ehe und sexuelle Fortpflanzung seien als etwas Negatives zu sehen. Die ersten Menschen waren ihrem Schöpfer ungehorsam, und ihre Einstellung zu einer idealen Beziehung - beruhend auf Vertrauen, Offenheit und einer engen Verbindung mit demjenigen, der alles erschaffen hatte - wurde untergraben.
DAS PENDEL SCHWINGT
Der unglückliche heutige Zustand der ehelichen Gemeinschaft widerspiegelt sowohl die frühere, repressive Einstellung gegenüber Ehe und Sex als auch die Revolution, die diese Einstellung im vermeintlich aufgeklärten 20. Jahrhundert erschütterte. Die Unterdrückung - in diesem Fall von der Kirche angeführt - musste früher oder später eine Reaktion auslösen. Die Geschichte zeigt, dass Druck unvermeidlich Gegendruck erzeugt, oft in Richtung des entgegengesetzten Extrems. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Die Unterdrückung – in diesem Fall von der Kirche angeführt – musste früher oder später eine Reaktion auslösen.
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert betraten nun Sigmund Freud und andere die Bühne und erklärten, sexuelle Verdrängung und die Einstellung, Sex sei schändlich, seien die Ursache von Neurosen und Geisteskrankheiten. Die Psychoanalyse zerriss die Fesseln der sexuellen Verdrängung. Beschleunigt wurde die Verbreitung dieser kühnen, neuen Ideen durch die Erschütterung zweier Weltkriege, welche den Ruf nach neuen Freiheiten und Unabhängigkeit verstärkte und die Akzeptanz einer liberalisierten Sexualität förderte. In den 60ern begann die Welt, die repressive Autorität der Kirche in Fragen von Ehe und Sex endgültig abzuschütteln.
Elaine Storkey, die an der Universität London Theologie und Soziologie lehrt, hat in ihrem im Jahr 2000 erschienenen Buch Created or Constructed? The Great Gender Debate (Geschaffen oder konstruiert? Die große Geschlechterdiskussion) einige interessante Bemerkungen gemacht. Über die veränderte Einstellung der Gesellschaft zu Beziehungen zwischen Frauen und Männern schreibt sie: „Der Zweite Weltkrieg hatte Beziehungsmuster, Hierarchien und Werte ins Wanken gebracht, und die Fünfzigerjahre vermochten die neue Generation letztlich nicht für die Sichtweisen der Alten zu gewinnen. Die Veränderungen vollzogen sich mitten im Herzen der Gesellschaft. Eine wesentliche Veränderung betraf den gesamten Bereich der Beziehungen zwischen Männern und Frauen. . . . Fragen nach Sex und Geschlecht wurden immer offener gestellt, . . . und eine Herausforderung, die viele in der Gesellschaft nicht verstanden, begann sich zu erheben. . . . Wer konnte sagen, welche Lehren aus der Geschichte nach den Fünfzigerjahren gebraucht werden würden?“
Die Frage ist wichtig - auf welche Lehren aus der Geschichte können wir zurückblicken, um mit der Verwirrung über den Sinn von Ehe und Sex aufzuräumen?
Die letztendlich gültige historische Quelle für diese Information ist die Bibel, die erklärt, warum Ehe und Sex geschaffen wurden.
ALLES IN DER FAMILIE
Wenn Gott der Urheber der Ehe ist, zu welchem Zweck hat er sie dann geschaffen?
Der Begriff der Familie ist wesentlich für ein Verständnis dieses ursprünglichen Zwecks. Ein wichtiger Hinweis findet sich im Schöpfungsbericht von 1. Mose. In Vers 1 wird Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde vorgestellt. Diese Nennung Gottes im ersten Vers der Bibel ist interessant: Das hebräische Wort ist Elohim, und das ist ein Plural. So impliziert das Wort Elohim eine Mehrzahl - mehr als ein Wesen. Dem entspricht die Verwendung des Wortes uns in Vers 26.
Dieser Gedanke wird im Neuen Testament im Evangelium des Apostels Johannes weiterentwickelt. Im ersten Kapitel gibt Johannes diesen Wesen Identität: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. . . . Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Johannes 1, 1-2. 14). Danach nennt Johannes diese zwei Wesen (das Wort und Gott), die in 1. Mose sprachen („Lasset uns Menschen machen“), den Vater und den Sohn (Christus) - Bezeichnungen, die sehr klar eine Familienstruktur ausdrücken.
Wir finden auch etliche Hinweise auf eine andere familiäre Beziehung: die der Braut oder Ehefrau. In Offenbarung 21, Vers 9 kommt zum Beispiel „die Frau, die Braut des Lammes [Christi]“ vor.
Wir sehen also, dass die Schrift über Gottvater und Jesus Christus in Begriffen von Familienbeziehungen spricht. Und um diese Gottesfamilie zu vervollständigen, sagt sie uns, wird es noch viele Söhne und Töchter geben, unter denen Christus der Erstgeborene ist (Römer 8, 29). Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. . . . Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi“ (Römer 8, 14. 17). Und an die Gemeinde in Galatien schreibt Paulus: „Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft Abba [aramäisch für Vater], lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott“ (Galater 4, 6-7).
Um uns zu helfen, diese geistlichen Familienbeziehungen zu verstehen, hat Gott die Institution Ehe entworfn. In Anlehnung an die Gebote, die Adam und Eva in der Genesis (1. Mose) gegeben wurden, schreibt der Apostel Paulus über die menschliche Ehe und schließt: „‚Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein.‘ Dies Geheimnis ist groß; ich deute es aber auf Christus und die Gemeinde“ (Epheser 5, 31-32). Beachten Sie bitte, dass der Grund, den Paulus für die leibliche Ehe nennt, der ist, dass sie Verständnis erzeugt für eine geistliche Ehe zwischen Christus und dem Leib, den die Gläubigen der Kirche bilden. Die Ehe ist eine ständige Erinnerung an unsere heilige Beziehung zu Jesus Christus.
Mit diesem Verständnis als Grundlage wird klar, dass die Beziehungen zwischen Ehemann, Ehefrau und Familie uns Einblick in die Beziehungen zwischen Gottvater und Jesus Christus sowie zwischen der Menschheit und Gott geben sollen. Menschen sollen Kinder Gottes werden, Erben in Gottes Familie. Gott hat die Institution Ehe eingesetzt, damit sie dazu beiträgt, uns etwas über dieses Ehrfurcht gebietende Potential zu lehren. Mit anderen Worten: Die Familienstruktur, die auf der menschlichen Ehe aufbaut, hilft uns durch die körperliche Analogie, Gott und seinen Plan, dass wir Angehörige seiner Familie werden sollen, besser zu verstehen.
Ehe und Sex sind von Gott geschaffen, damit wir die heilige, geistliche Beziehung zwischen Gott, der Geist ist, und den Menschen, die einen Körper haben und die er nach seinem Bild geschaffen hat, besser verstehen und würdigen können. Wie traurig, dass den Menschen eine so reiche Quelle der Erfüllung und des Glücks genommen wurde.