Der Gott allen Trostes

Wie in Teil 24 gesehen, verkündete Jesaja warnende Botschaften für Juda und Jerusalem, bevor sie durch den König von Babylon zu Fall gebracht wurden. Doch dann übermittelte der Prophet ihnen die Hoffnung, dass es am Ende eine Wiederherstellung und Frieden geben würde.

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(TEIL 24)

ZUR SERIE

Die zentralen Themen im Eröffnungskapitel des zweiten Teils von Jesaja sind eine Botschaft des Trostes an Jerusalem und Juda, die Majestät und Macht des Gottes Israels und die Wiederherstellung, die er nach der Gefangenschaft bringen wird. Dies ist die Einleitung für den Rest des Buches.

Manche Bibelforscher datieren die Entstehung von Kapitel 40–66 auf eine Zeit nach der Invasion der Babylonier 586 v. Chr. und dem Zusammenbruch des Königreichs Juda – während des darauf folgenden Exils der Juden. Aus dieser Perspektive wird die ganze zweite Hälfte des Buches als das Werk eines späteren, zweiten und vielleicht sogar dritten „Jesaja“ gesehen, das ein verschlepptes Volk ermutigen und auf eine Rückkehr in die Heimat vorbereiten sollte. Dies ist eine recht moderne Auffassung, die auf literarischen Analysen im 20. Jahrhundert beruht. Es entspricht nicht der Auffassung der anderen biblischen Autoren von diesem Werk. Die Alternative ist, dass der echte Jesaja tatsächlich für die zweite Hälfte des Buches, das seinen Namen trägt, verantwortlich war und die gesamte Botschaft Gottes von Wiederherstellung und Hoffnung schon vor Judas Fall niederschrieb, wie es auch andere hebräische Propheten mithilfe der Inspiration taten. Und ohnehin hatte Jesaja im ersten Teil seines Buches schon eine Zukunft weit jenseits seiner Zeit prophezeit.

Das NT schreibt ausdrücklich beide Hälften des Buches dem einen Mann Jesaja zu, der Seine [Christi] Herrlichkeit sah und von Ihm sprach.“

J. Barton Payne, Encyclopedia of Biblical Prophecy

Israels lange Geschichte des Götzendienstes, der Verstöße gegen den Bund, des Ungehorsams und der darauf folgenden Gefangenschaft (zuerst in Jesaja 39, 7 vorausgesagt, aber dann in 43, 5–6, 14, und 44, 28 bis 45, 5 überwunden) wird abgelöst durch Vergebung, Frieden und Wiederherstellung. Darum die Mut machende Eröffnung: „Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden“ (Jesaja 40, 1–2).

Einige Jahre, nachdem das babylonische Reich 539 v. Chr. von den Persern geschlagen worden war, kehrte ein Teil der Juden nach Jerusalem zurück. Doch nicht alle kamen zurück, sodass sich die Frage stellt, ob die vollständige Erfüllung von Jesajas Prophezeiung des Trostes nicht mit dem zweiten Kommen des Messias verbunden ist.

Die nächsten Verse kündigen an, dass der Weg für Gottes Ankunft bereitet wird (Verse 3–5). Diese Prophezeiung bezog der Evangelist Lukas auf Johannes den Täufer, der die direkt bevorstehende Offenbarung Jesu als des christos, des Gesalbten, verkündete (Lukas 3, 4–6).

Übrigens hatten Lukas und die übrigen Autoren des Neuen Testaments keinerlei Zweifel daran, dass derselbe Jesaja auch den zweiten Teil geschrieben hatte. Der Apostel Johannes zitierte Passagen aus beiden Hälften des Buches und schrieb, dass der Prophet Christus gemeint habe (Johannes 12, 37–41). Laut Apostelgeschichte 8, 26–35 erläuterte der Apostel Philippus Teile aus Kapitel 53 einem Äthiopier, der gefragt hatte, von wem der Prophet in einer Passage über den kommenden Messias gesprochen habe. Paulus nannte Jesaja als den Urheber von Kapitel 53 und 65 (siehe Römer 10), als er darüber schrieb, dass Christus von den meisten seiner eigenen Landsleute abgelehnt und von vielen Nichtisraeliten angenommen worden war.

Diesen Autoren wurde auch klar, dass der Messias nicht nur einmal, sondern zweimal kommen musste, ehe Prophezeiungen einer letzten Zeit mit Trost für Jerusalem und für die ganze Menschheit in Erfüllung gehen könnten. Der Apostel Petrus machte dies deutlich. Als er in den ersten Tagen der Urkirche öffentlich in Jerusalem sprach, zeigte er auf, wie die Propheten das erste Kommen Christi vorausgesagt hatten. Auch auf die Zeit seiner Wiederkunft hatten sie hingewiesen, „ […] damit die Zeit der Erquickung komme von dem Angesicht des Herrn und er den sende, der euch zuvor zum Christus bestimmt ist: Jesus“ (Apostelgeschichte 3, 20–21).

Eine bessere Zukunft

Diese künftige Zeit ist eines der zentralen Themen im zweiten Teil von Jesaja. So prophezeit er, dass die Verwüstung der Natur rückgängig gemacht werden wird: „Ich will Wasserbäche auf den Höhen öffnen und Quellen mitten auf den Feldern und will die Wüste zu Wasserstellen machen und das dürre Land zu Wasserquellen. Ich will in der Wüste wachsen lassen Zedern, Akazien, Myrten und Ölbäume; ich will in der Steppe pflanzen miteinander Zypressen, Buchsbaum und Kiefern“ (Jesaja 41, 18–19).

Auch spirituelle Dürre wird der Vergangenheit angehören: „Denn ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre: ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nachkommen“ (44, 3). Der Trost, den Gott seinem Volk Israel verheißen hat, wird schließlich kommen, wenn er der Trauer über den Verlust seiner Gunst für immer ein Ende bereitet und Israel befähigt, zerstörte Städte wieder aufzubauen und das Vorbild rechten Lebens für die ganze Menschheit zu werden: „So lässt Gott der HERR Gerechtigkeit aufgehen und Ruhm vor allen Heidenvölkern“ (61, 11).

Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.“

Jesaja 49, 13

Ein weiteres Thema dieses Abschnitts ist die Größe Gottes und im Gegensatz dazu die Bedeutungslosigkeit der Menschen. Er offenbart sich als der einzigartige Gott (40, 18, 25) und als Gegensatz zu den vielen Götzen der heidnischen Nachbarvölker (Verse 19–20). Er ist allwissend, allmächtig, der Herr der Geschichte. Allzu oft hindert uns Arroganz daran, unseren Platz im großen Gesamtzusammenhang zu verstehen. Um uns zu einer realistischen Perspektive zu verhelfen, fragt der Prophet: „Wer misst die Wasser mit der hohlen Hand, und wer bestimmt des Himmels Weite mit der Spanne und fasst den Staub der Erde mit dem Maß und wiegt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Waage?“ (Vers 12). Menschen können die größeren Aspekte der Schöpfung nicht physisch messen und ebenso wenig können wir Gottes Geist ermessen, ihn beraten oder belehren. Im Vergleich mit dem Schöpfer stellen unsere Fähigkeiten wenig dar. Selbst „Völker sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage“. Es gibt nichts, an dem Gott gemessen werden kann (Verse 13–15).

Ein Aspekt der Macht Gottes ist, dass er voraussagt, was geschehen wird – auch in ferner Zukunft –, und bewirken kann, dass Umstände und Ereignisse eintreten: „Gedenkt des Vorigen, wie es von alters her war: Ich bin Gott, und sonst keiner mehr, ein Gott, dem nichts gleicht. Ich habe von Anfang an verkündigt, was hernach kommen soll, und vorzeiten, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Was ich beschlossen habe, geschieht, und alles, was ich mir vorgenommen habe, das tue ich“ (46, 9–10).

Gott ist außerdem der Schöpfer der Menschheit, ein Wesen, angesichts dessen Majestät und wohltätiger Macht der stolzen Menschheit kein Raum für Diskussionen bleibt: „Weh dem, der mit seinem Schöpfer hadert, eine Scherbe unter irdenen Scherben! Spricht denn der Ton zu seinem Töpfer: Was machst du?, und sein Werk: Du hast keine Hände! Weh dem, der zum Vater sagt: Warum zeugst du?, und zur Frau: Warum gebierst du?“ (45, 9–10).

Ebenfalls betont wird Gottes Treue und Verlässlichkeit. Er hat ein Volk – die Nachkommen Jakobs/Israels – dazu erwählt, eine Beziehung mit ihm vorzuleben, und seine Verheißung an sie wird erfüllt werden. Obgleich sie sich von ihm entfernt haben, wird er sein Wort halten und sie werden die Wiederherstellung erfahren: „Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe, du Spross Abrahams, meines Geliebten, […] ich erwähle dich und verwerfe dich nicht – fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit“ (41, 8–10). Er sichert ihnen zu, dass sie einst aus der Fremde zurückgebracht und wieder gedeihen werden: „Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde“ (43, 5–6; siehe auch 49, 14–26). Gott wird seinem Volk wieder Mut machen. Es wird nicht für immer verworfen werden: „Ja, der HERR tröstet Zion, er tröstet alle ihre Trümmer und macht ihre Wüste wie Eden und ihr dürres Land wie den Garten des HERRN, dass man Wonne und Freude darin findet, Dank und Lobgesang“ (51, 3). Zwar erfüllten sich diese Verheißungen zum Teil durch die Rückkehr einiger Israeliten nach Jerusalem unter persischer Schutzherrschaft, doch auch ihre vollständige Erfüllung wird erst durch das Reich Gottes auf der Erde kommen, das noch in der Zukunft liegt.

Persische Krieger; in Teheran ausgestellte Statuen

Foto FrankvandenBergh

Babylon wird fallen

Eine zentrale Verheißung des Abschnitts ist der Niedergang des babylonischen Reiches, in das Juda verschleppt werden sollte, unter seinem künftigen Herrscher Nebukadnezar. „So spricht der HERR, euer Erlöser, der Heilige Israels: Um euretwillen habe ich nach Babel geschickt und habe die Riegel eures Gefängnisses zerbrochen, und zur Klage wird der Jubel der Chaldäer“ (43, 14). Das sollte nach 70 Jahren Exil durch die einfallenden Perser unter Kyrus dem Großen geschehen, dessen Kommen als Werkzeug Gottes über 150 Jahre im Voraus prophezeit wurde (siehe Kapitel 45). Tatsächlich drang er dann unbemerkt und ohne Gegenwehr in die Stadt ein und brachte Babylon zu Fall.

Herodot über den Fall Babylons

Der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtete im 5. Jahrhundert v. Chr. über die Eroberung Babylons durch Kyrus/Kyros:

Er stellte einen Teil seines Heeres dort auf, wo der Fluss in die Stadt hineinströmt, und den anderen Teil innerhalb der Stadt, wo der Fluss herausströmt. Dann gab er Befehl, sobald sie sähen, dass der Fluss gangbar würde, vom Flusse aus in die Stadt einzudringen. Nach diesen Anordnungen zog er selbst mit dem kampfuntüchtigen Teil des Heeres davon. Er gelangte zu jenem See und tat nun mit dem Strom und dem See ungefähr dasselbe, was einst die Königin von Babylon getan hatte. Er leitete durch einen Graben den Fluss in den See ab, der eigentlich ein Sumpf war. So machte er, da das Wasser seitwärts floss, das Flussbett gangbar. Und durch das Flussbett drangen nun die Perser, die Kyros am Flussufer aufgestellt hatte, in Babylon ein; denn das Euphratwasser reichte ihnen jetzt höchstens bis zur Hälfte des Schenkels. Wenn die Babylonier den Plan des Kyros vorher gewusst hätten oder rechtzeitig bemerkt hätten, was im Werke war, so hätten sie die Perser nicht in die Stadt dringen lassen, sondern sie schmählich zusammengehauen. Sie hätten einfach alle nach dem Fluss gerichteten Tore verschlossen, wären auf die längs des Flusses errichteten Mauern gestiegen und hätten die Perser wie in einem Käfig gefangen. Aber nun waren die Perser ganz unvermutet in der Stadt. Weil Babylon so groß ist, wussten, wie man dort im Lande erzählt, die Leute inmitten der Stadt noch nichts vom Eindringen der Feinde, als die äußeren Stadtteile bereits in Feindeshand waren. Man feierte gerade ein Fest, tanzte noch und war guter Dinge, bis die Kunde endlich auch zu ihnen drang. So wurde Babylon zum ersten Mal erobert.“

Durch ihn befreite Gott die in Babylon verbliebenen Juden nach Jahrzehnten der Gefangenschaft und sie und ihre Nachkommen konnten nach Jerusalem zurückkehren: „Ich habe ihn [Kyrus] erweckt in Gerechtigkeit, und alle seine Wege will ich eben machen. Er soll meine Stadt wieder aufbauen und meine Gefangenen loslassen, nicht um Geld und nicht um Geschenke, spricht der HERR“ (45, 13), „der zu Kyrus sagt: Mein Hirte! Er soll all meinen Willen vollenden und sagen zu Jerusalem: Werde wieder gebaut!, und zum Tempel: Werde gegründet!“ (44, 28).

Kapitel 47 verkündet Gottes Urteil über Babylon und seinen plötzlichen Zusammenbruch: „Aber nun wird über dich Unglück kommen, das du nicht wegzuzaubern weißt, und Unheil wird auf dich fallen, das du nicht durch Sühne abwenden kannst. Und es wird plötzlich ein Verderben über dich kommen, dessen du dich nicht versiehst“ (Vers 11).

Babylon, die am stärksten befestigte Stadt der Welt, öffnet [Kyrus] kampflos ihre Tore.“

John D. W. Watts, Word Biblical Commentary, Bd. 25: Isaiah 34–66

Worte der Hoffnung und des Trostes

Wie in der vorigen Folge dieser Serie gezeigt und hier bereits angesprochen, überliefert Jesaja mehrere Prophezeiungen über das erste und das zweite Kommen des Messias. Im späteren Teil des Buches finden sich fünf „Gottesknechtslieder“, die sich erkennbar auf Christus beziehen. In Kapitel 42, 1–4 beschreibt Jesaja zunächst die Demut, mit der Jesus wirkt. Diese Stelle zitiert Matthäus später in seinem Evangelium (Matthäus 12, 18–21). Jesaja beginnt: „Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen“ (Jesaja 42, 1). Es folgen Lieder über die Rolle des Gottesknechts und Messias bei der Wiederherstellung Israels und als ein Licht für die Heiden (49, 1–9), seine Bereitschaft, Schmach zu erdulden (50, 5–9), das Extreme seines Todes als Sühneopfer (52, 13–15; Kapitel 53) und den zweifachen Aspekt seiner Rolle als Verkünder des Evangeliums – der frohen Botschaft – von Gottes Reich und als wiederkehrender König der Könige (61, 1–2).

Dieser spätere Teil des Buches Jesaja enthält Blicke auf Jerusalem als neue Stadt in Gottes künftigem Reich (54, 11–13; 60, 19–20), ein Thema, das im Neuen Testament weiterentwickelt wird (siehe Offenbarung 21). Nach der Wiederkunft Christi und seiner tausendjährigen Herrschaft auf der Erde wird das Neue Jerusalem offenbart werden. Über diese Zeit schreibt Jesaja: „Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens“ (65, 17–19).

Der höchste Trost für die Leidenden und Verlorenen kommt am Schluss des Buches in der Verheißung, die Gott gibt: „Denn wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir Bestand haben, spricht der HERR, so soll auch euer Geschlecht und Name Bestand haben“ (66, 22).

Die nächste Folge handelt von Jeremia und Hesekiel innerhalb und außerhalb Jerusalems.

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(TEIL 26)