Chronik: ein Blick zurück auf Israels Geschichte
Nach überstandenem Exil waren viele Juden in ihre Heimat zurückgekehrt, um ihr Land und seine Hauptstadt Jerusalem wieder aufzubauen. Als spätere Generationen wieder nachlässig wurden, erinnerte sie ein anonymer Chronist an ihre Geschichte und ihre Identität.
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(TEIL 28)
ZUR SERIE
Mit dieser Folge beginnen die Artikel über den dritten und letzten Teil der hebräischen Bibel, die Schriften. In der gesamten Serie wurde generell die Anordnung der Bücher in der heutigen hebräischen Bibel, dem Tanach, eingehalten. Doch in dieser Folge werden die beiden Bücher der Chronik bewusst als Erstes und nicht als Letztes behandelt, weil sie die Ursprünge Israels und Judas nachzeichnen – vom Anfang bis zum Wiederaufbau des jüdischen Gemeinwesens nach der babylonischen Gefangenschaft. Außerdem gehören sie als Werk der Geschichtsschreibung dem gleichen Genre an wie die vorausgehenden Bücher der Früheren Propheten, Samuel und Könige.
Die Ordnung der Bücher
Die Ordnung der Bücher der hebräischen heiligen Schrift, wie Christus sie kannte, war in drei Teile gegliedert – Gesetz, Propheten, Schriften – in dieser Reihenfolge:
Das Gesetz (Tora) umfasst die fünf Bücher des Pentateuch (1. bis 5. Mose bzw. Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium).
Die Propheten (Newiim) sind die früheren Propheten (Josua, Richter, 1. und 2. Samuel [als ein Buch gezählt], 1. und 2. Könige [als ein Buch gezählt]) sowie die späteren Propheten (Jesaja, Jeremia, Hesekiel und die zwölf kleinen Propheten [als ein Buch gezählt]).
Die Schriften (Chetuwim) umfassen die Psalmen, die Sprüche, Hiob, das Hohelied, Rut, die Klagelieder, Prediger, Esther, Daniel, Esra-Nehemia (als ein Buch gezählt), 1. und 2. Chronik (als ein Buch gezählt) – insgesamt 24 Bücher.
Für dieses Vorgehen gibt es Präzedenzfälle. Zwei wichtige Versionen der hebräischen Bibel – die älteste vollständige Handschrift, der Codex Leningrad (1008 n. Chr.), und der etwas ältere, aber unvollständige Aleppo-Codex (930 n. Chr.) – stellen beide Teile der Chronik als ein einziges Buch an den Anfang der Schriften. Auch die griechische Version der hebräischen Bibel, die Septuaginta (300–200 v. Chr.) – die als erste die Chronik in zwei Bücher teilte und hierin für viele nachfolgende Versionen, auch die auf Hebräisch, zum Vorbild wurde – ordnet die Chronik bei den Geschichtsbüchern ein, nach dem Buch Könige.
Aber warum eine zweite Geschichte Israels? Es ist doch redundant, einfach zu wiederholen, was schon bekannt ist.
Das Wort Chronik stammt von dem griechischen chronikon, das der Übersetzer Hieronymus im späten vierten bis fünften Jahrhundert verwendete, um den Inhalt des Buches zu beschreiben. Sein Titel für das Buch war ein anderes griechisches Wort, paralipomenon, nach seinem Namen in der Septuaginta. Es bedeutet „Ausgelassenes“, „Übriges“ oder „Nachtrag“. Der Gedanke war, dass die Chronik Informationen geben sollte, die in früheren Aufzeichnungen der biblischen Geschichte fehlten. Es wird sich zeigen, dass sie weit mehr ist als das und dass der Chronist selbst Dinge ausließ.
Auf Hebräisch lautet der Titel dibrē hayyāmīm, „die Ereignisse (oder die Worte) der Tage“, d. h. „Annalen“ oder „Geschichte“. Dieser hebräische Ausdruck kommt in mehreren anderen Verweisen vor: „Chronik der Könige von Israel“ (1. Könige 14, 19), „Chronik der Könige von Juda“ (Vers 29), „Chronik der Könige von Medien und Persien“ (Ester 10, 2) und „Chronik des Königs David“ (1. Chronik 27, 24).
Über den Autor und die Datierung der Chronik wird in der Bibelforschung diskutiert. Aus dem Text selbst geht die Identität des Autors nicht hervor, obgleich die rabbinische und die mittelalterliche Tradition nicht nur die Chronik, sondern auch die Bücher Esra und Nehemia dem nachexilischen Priester Esra zuschrieben. Diese Vorstellung ist von vielen Bibelwissenschaftlern verworfen worden; sie akzeptieren nicht mehr, dass alles vom selben Autor stammt. Spekulative Datierungen reichen von ca. 515 bis ca. 150 v. Chr. Es gibt allerdings, wie ersichtlich werden wird, mehrere Gründe für die Annahme, dass der anonyme Chronist gegen Ende der Perserzeit oder sogar zu Beginn des Hellenismus schrieb.
„Chronik und Esra-Nehemia sind zwei verschiedene Werke von zwei verschiedenen Autoren. […] In ihrer Gesamtheit betrachtet stellen sie zwei Varianten biblischer Geschichtsschreibung in der persisch-hellenistischen Periode dar.“
Das Buch ist wie folgt gegliedert:
- 1. Chronik 1 bis 9: Einleitung;
- 1. Chronik 10 bis 2. Chronik 9: Geschichte Israels unter David und Salomo;
- 2. Chronik 10 bis 36: Geschichte des Königreichs Juda ab dem Aufbruch der nördlichen Stämme Israels nach Assyrien.
Der Autor nennt oder verweist auf verschiedene biblische Quellen für seine personalisierte Version von Israels Geschichte – darunter die fünf Bücher Mose, Josua, die Bücher Samuel und Könige, Esra-Nehemia sowie einige Psalmen.
Die Rekonstruktion des Chronisten scheint ein bewusster Versuch zu sein, für seine nachexilische Zeit eine neue Perspektive zu bringen. Besonderes Augenmerk gilt z. B. David, Salomo und mehreren nachfolgenden, rechtschaffenen Königen Judas, darunter Asa, Hiskia und Josia, der zentralen Bedeutung Jerusalems, des Tempels und seiner Rituale sowie der positiven Annahme der Führung Gottes im Volk. Diese besondere Beachtung kann als sein Mittel verstanden werden, die Heimgekehrten bei der Erneuerung des ganzen Landes nach der Befreiung aus Babylon zu motivieren.
Anders als das Buch Könige, dem er sonst genau folgt, bietet der Chronist keine synchronisierte Geschichte der Könige über die nördlichen Stämme, sondern nur eine Geschichte der Monarchen in Juda. Das bedeutet nicht, dass er die Stämme im Norden ganz von seinem Bericht ausschließt. Über die Geschichte ihrer Abspaltung vom südlichen Reich hinaus hebt er sie mehrmals als Bestandteile des alten Israel hervor, als die Stämme noch ungeteilt waren.
Der historische Rahmen
Die Einleitung umfasst neun Kapitel; sie beginnt mit der Schöpfung und dem ersten Menschen. Für den ersten Abschnitt (1. Chronik 1–2, 2) wird Material von den wichtigsten Genealogien verwendet, die das 1. Buch Mose bietet (Kapitel 5, 10–11, 25, 35–36). Die Stoßrichtung der Einleitung ist eine Verengung der Perspektive von der Menschheit im Allgemeinen auf die Söhne Jakobs, der den Namen Israel erhielt – die Abstammungslinie, die Gott auserwählt hatte. Dies wird dadurch erreicht, dass von jeder Linie nur einige Nachkommen genannt werden. Ausgeschlossen von Adams Linie sind z. B. die Söhne von Kain, Nahor (Abrahams Bruder) und Lot.
Außerdem wird Material aus 1. Mose manchmal in umgekehrter Reihenfolge präsentiert, sodass Jakobs Linie hervorgehoben wird. In 1. Mose 35–36 steht Jakob z. B. vor Esau; in 1. Chronik ist es dagegen umgekehrt: Dort wird Esaus Linie kurz erwähnt (1, 34–37) und dann folgt eine lange Darstellung der Linie seines Bruders, sodass Jakob hervorgehoben wird.
„Während die Aufzählung den ,Söhnen Israels‘ näher kommt (2.1), wird sie zunehmend detaillierter, und die wichtigste genealogische Linie wird in Kapitel 2-9 ausführlich dargestellt.“
In der gesamten Chronik wird Jakob Israel genannt, ausgenommen an zwei Stellen (beide in 1. Chronik 16), wo der Autor Psalm 105 zitiert. Dies betont erneut, dass es die israelitischen Nachkommen Jakobs sind, durch die Gott wirkt.
In den folgenden Kapiteln verengt sich die Perspektive auf Juda und die Familie von Israels König David. Obgleich Juda nicht der Erstgeborene war, werden seine Nachkommen in der Genealogie der Söhne Jakobs als erste genannt. Durch diese Hervorhebung spricht der Chronist den Nachkommen der anderen Söhne jedoch nicht ihre Bedeutung ab. Juda wird als die Linie genannt, von der die Herrscher kommen sollten, doch das Geburtsrecht kam den nördlichen Stämmen Josefs zu (siehe 1. Chronik 5, 2).
Dieser Abschnitt der Einleitung (2, 3 bis 9, 2) folgt in seiner Gliederung einer geografischen Route, beginnend mit den Stämmen Juda und Simeon in der Mitte des Landes. In Kapitel 2, 13–15 wird Davids Genealogie eingeführt, gefolgt von einer Liste seiner Nachkommen in Kapitel 3. Kapitel 4 kehrt zu Judas Familie zurück und überblickt dann Simeons Linie.
Kapitel 5 wendet sich nach Osten über den Jordan und zählt von Süden nach Norden die Stämme Ruben, Gad und den Halbstamm Manasse auf. Kapitel 6 zählt Levis Nachkommen auf, mehr oder weniger in der Mitte der Stämme – eine angemessene Stellung angesichts ihrer Funktion, allen Stämmen zu dienen. Das folgende Kapitel gruppiert die Stämme Issachar, Naftali und Benjamin. Kapitel 8 wendet sich nach Süden und kommt zu Manasse, Ephraim und Benjamin als einer zentralen Gruppe, der Asser angeschlossen ist. Dass Benjamin in diesem Kapitel erneut behandelt und Dans Name ganz ausgelassen wird, hat Anlass zu Vermutungen gegeben, dass die Handschrift durch fehlerhaftes Abschreiben an dieser Stelle verderbt ist.
Kapitel 9 beginnt mit einer Zusammenfassung der aktuellen Lage in der Zeit des Chronisten: „Und ganz Israel wurde im Geschlechtsregister aufgezeichnet, und siehe, sie sind aufgeschrieben im Buch der Könige von Israel. Und Juda wurde weggeführt nach Babel um seines Treubruchs willen. Und die zuerst [nach der Gefangenschaft wieder] auf ihrem Besitz und in ihren Städten wohnten, waren Israeliten, Priester, Leviten und Tempelsklaven“ (Verse 1–2).
Der Schluss der Einleitung umfasst Kapitel 9, 3–34, beginnend mit einer Erinnerung an die Heimkehrer, die sich wieder in der Hauptstadt niedergelassen hatten: „Und in Jerusalem wohnten einige der Söhne Juda, einige der Söhne Benjamin, einige der Söhne Ephraim und Manasse“ (Vers 3). Hier ist Juda mit Jerusalem das Zentrum für die Erneuerung der Kinder Israel in dem Land, zu dem sie zurückgekehrt sind. Die Chronik hebt hervor, dass in der wiederhergestellten Ordnung ganz Israel vertreten ist.
David und Salomo im Mittelpunkt
Im zweiten Teil des Buches (1. Chronik 10 bis 2. Chronik 9) folgt die Geschichte Israels unter David und Salomo.
Kapitel 10 leitet den Abschnitt ein, der sich detailliert mit Davids Rolle befasst. Nach dem Scheitern und dem Tod des benjaminitischen Königs Saul wird David zu seinem Nachfolger gesalbt. Typisch für die Darstellung des Chronisten ist, dass Gott Sünde straft und Treue belohnt: „So starb Saul um seines Treubruchs willen, mit dem er sich an dem HERRN versündigt hatte, weil er das Wort des HERRN nicht hielt, auch weil er die Wahrsagerin befragt, den HERRN aber nicht befragt hatte. Darum ließ er ihn sterben und wandte das Königtum David, dem Sohn Isais, zu“ (Verse 13–14).
„Der Autor […] will, dass seine Leser und wir die Segnungen verstehen, die treuer Gehorsam gegenüber dem Herrn hervorbringt.“
Samuels Bericht über die Herrschaft von Sauls Sohn Isch-Boschet über einige Stämme, während David von Hebron aus Juda regierte (2. Samuel 2–4), wird von dem Chronisten nicht erwähnt. Mit geringfügigen Abweichungen kommen die beiden Berichte bei der Zustimmung aller Stämme zu David wieder zusammen: „Und ganz Israel sammelte sich bei David in Hebron und sprach: Siehe, wir sind dein Gebein und dein Fleisch. […] Und alle Ältesten Israels kamen zum König nach Hebron. Und David schloss einen Bund mit ihnen in Hebron vor dem HERRN. Und sie salbten David zum König über Israel nach dem Wort des HERRN durch Samuel“ (1. Chronik 11, 1–3; vgl. 2. Samuel 5, 1–3).
Einzigartig in der Chronik ist die Betonung des Ausdrucks „ganz Israel.“ Er erscheint an vielen Stellen, wo biblische Quellen zitiert werden, aber zudem auch 20-mal in Passagen ohne Entsprechung im Quelltext. Im Kontext von David und Salomo weist „ganz Israel“ darauf hin, dass diese Reichsgründer über alle zwölf Stämme herrschten und deshalb ein Vorbild der Einheit für die aus Babylon Heimgekehrten sein sollten. Zum Beispiel: „So versammelte David ganz Israel, vom Schihor Ägyptens an bis dorthin, wo es nach Hamat geht [die größte Ausdehnung des Landes], um die Lade Gottes von Kirjat-Jearim zu holen“; „So setzte sich Salomo auf den Thron des HERRN als König an seines Vaters David statt und fand Anerkennung. Und ganz Israel wurde ihm gehorsam. […] Und der HERR machte Salomo immer größer vor ganz Israel und gab ihm ein herrliches Königreich, wie es keiner vor ihm über Israel gehabt hatte. So ist nun David, der Sohn Isais, König gewesen über ganz Israel“ (1. Chronik 13, 5; 29, 23, 25–26).
In der Chronik nicht enthalten sind einige der schwereren Sünden Davids und Salomos, etwa Davids Ehebruch mit Batseba und dass er Uria absichtlich in den Tod schickte (vgl. 2. Samuel 11 mit 1. Chronik 20). Das Motiv dürfte sein, die Leser und Hörer des Chronisten vor Davids schlechtem Beispiel zu schützen und ihre Aufmerksamkeit nicht von seinen Errungenschaften abzulenken. Auch Davids Schwäche im Zusammenhang mit der Vergewaltigung Tamars und die Rebellion Absaloms (2. Samuel 13, 15–19) werden übergangen.
Ebenfalls unerwähnt bleiben die Probleme, die sich Salomo gegen Ende seines Lebens zuzog. Das Buch Könige überliefert einen Katalog seiner Abweichungen von Gottes Wegen: „Aber der König Salomo liebte viele ausländische Frauen: die Tochter des Pharao und moabitische, ammonitische, edomitische, sidonische und hetitische – aus solchen Völkern, von denen der HERR den Israeliten gesagt hatte: Geht nicht zu ihnen und lasst sie nicht zu euch kommen; sie werden gewiss eure Herzen ihren Göttern zuneigen. An diesen hing Salomo mit Liebe. Und er hatte siebenhundert Hauptfrauen und dreihundert Nebenfrauen; und seine Frauen verleiteten sein Herz. Und als er nun alt war, neigten seine Frauen sein Herz fremden Göttern zu, sodass sein Herz nicht ungeteilt bei dem HERRN, seinem Gott, war wie das Herz seines Vaters David“ (1. Könige 11, 1–4). Darüber sagt die Chronik nichts. Wieder ist zu erkennen, dass der Chronist David und Salomo als ideale Könige präsentiert.
„Ganz Israel“
Im dritten Abschnitt der Chronik (2. Chronik 10–36), der die Spaltung des Königreichs in einen nördlichen und einen südlichen Teil behandelt, liegt die Betonung auf Judas Reich und dem positiven Einfluss seiner rechtschaffenen Könige sowie der Tatsache, dass das südliche Reich unter Rehabeam für „ganz Israel“ steht. Während es in 1. Könige 12, 23 heißt: „Sage Rehabeam, dem Sohn Salomos, dem König von Juda, und dem ganzen Hause Juda und Benjamin und dem übrigen Volk […]“, schreibt der Autor der Chronik: „Sage Rehabeam, dem Sohn Salomos, dem König von Juda, und all denen von Israel, die in Juda und Benjamin wohnen […]“ (2. Chronik 11, 3, kursiv vom Autor).
Der Chronist erinnert seine Leser und Hörer daran, dass im südlichen Reich viele Angehörige anderer Stämme lebten, auch die wichtige religiöse Obrigkeit: „Die Priester aber und die Leviten von ganz Israel hielten sich zu ihm [Rehabeam] aus ihrem ganzen Gebiet; denn die Leviten verließen ihre Ortschaften und ihre Habe und kamen nach Juda und Jerusalem. […] Und die den HERRN, den Gott Israels, von Herzen suchten, folgten den Leviten aus allen Stämmen Israels nach Jerusalem, dass sie opferten dem HERRN, dem Gott ihrer Väter. So machten sie das Königreich Juda mächtig und stärkten Rehabeam, den Sohn Salomos, für drei Jahre; denn drei Jahre wandelten sie in dem Wege Davids und Salomos“ (2. Chronik 2, 13–14, 16–17). Diese Details übergeht das Buch Könige.
Auch der judäische König Asa vereinte mehrere Stämme: „Und er versammelte ganz Juda und Benjamin und alle aus Ephraim, Manasse und Simeon, die bei ihnen wohnten; denn es fiel ihm eine große Menge aus Israel zu, als sie sahen, dass der HERR, sein Gott, mit ihm war“ (15, 9). Auch hierzu gibt es im Buch Könige keine Parallelstelle.
In den späteren Jahren unter Hiskia, berichtet der Chronist, gab es viel Kontakt zwischen den Stämmen: „Hiskia sandte hin zu ganz Israel und Juda und schrieb Briefe an Ephraim und Manasse, dass sie zum Hause des HERRN nach Jerusalem kommen sollten, Passa zu halten dem HERRN, dem Gott Israels. […] Und so beschlossen sie, durch ganz Israel von Beerscheba an bis nach Dan auszurufen, dass man kommen sollte, dem HERRN, dem Gott Israels, Passa zu halten in Jerusalem; denn es war nicht von der ganzen Menge gehalten worden, wie es geschrieben steht“ (30, 1, 5).
„Nachdem der Chronist die Wiederherstellung von Israels Einheit unter Hiskia beschrieben hat, ist es ihm wichtig, hervorzuheben, dass das spätere Gemeinwesen repräsentativ für ganz Israel war, nicht nur für das frühere südliche Reich allein.“
Solche Verweise finden sich auch in dem Bericht über Judas letzten rechtschaffenen König Josia, der das Land vom Götzenkult befreite: „Im zwölften Jahr fing er an, Juda und Jerusalem zu reinigen. […] So tat er auch ringsumher in den Städten Manasses, Ephraims, Simeons und bis nach Naftali auf ihren Plätzen. Und als er im ganzen Lande Israel die Altäre und Bilder der Aschera abgebrochen und die Götzenbilder zertrümmert und zermalmt und alle Rauchopfersäulen umgehauen hatte, kehrte er zurück nach Jerusalem“ (34, 3, 6–7).
Mit einem Ziel geschrieben
Warum also etwas schreiben, das wirkt wie eine zweite Geschichte?
Die Botschaft des Chronisten sollte sein Volk wachrütteln und an seine Identität erinnern. Zu diesem Zweck hob er bestimmte Aspekte seines Erbes hervor. Im Zentrum seiner summarischen Geschichte steht der Gott der hebräischen heiligen Schrift als der einzig wahre Gott. Sie betont, dass die Israeliten von Gott auserwählt sind, die Verbundenheit der Stämme, die Rechtschaffenen in der Linie ihrer Könige, ihre Einheit als Volk, die Segnungen für andächtigen Gehorsam und die Organisation ihrer Religionsausübung. Ein Teil dieses Wachrüttelns bestand darin, zu zeigen, dass sie für ganz Israel standen, das noch einmal von vorn anfangen durfte; daher die Betonung aller Stämme unter Judas Führung, wie es in der Zeit Davids und Salomos war und wie es die Taten anderer rechtschaffener Könige Judas wie Asa, Hiskia und Josia widerspiegeln.
Der Chronist schrieb für Nachkommen derer, die heimgekehrt waren, um den Tempel und das Land Israel wieder aufzubauen und dem Gott Israels zu folgen, die aber manchmal nachlässig geworden waren, und er war voller Eifer, sein Volk aufzurütteln. Die nachexilischen Propheten (Haggai, Sacharja und Maleachi) hatten ab 520 v. Chr. über einen Zeitraum von fast 100 Jahren gesprochen und auf den schwachen Einsatz der Heimkehrer für den Wiederaufbau hingewiesen. Als Maleachi Gottes Warnungen verkündete, um 430 v. Chr., war der Tempel wieder aufgebaut, aber die Priesterschaft war korrupt und das Volk wieder von Gott abgeglitten.
Als Beleg dafür, dass dies ein deutlich späteres Werk ist als die Bücher Samuel und Könige, nennt der Chronist mehrere Generationen von Nachkommen des Königs Jojachin, den Nebukadnezar nach dem Fall Jerusalems nach Babylon verschleppt hatte. Außerdem beschreibt der Chronist ein gegenüber der Zeit Esras und Nehemias gut entwickeltes Tempelsystem – mit 24 Priesterabteilungen, Leviten, Sängern und Torhütern – und macht ausführliche Angaben über Zeremonien. Hinzu kommt, dass er in spätbiblischem Hebräisch schrieb, während die meisten seiner erkennbaren Quellen in älterem Hebräisch sind. Insgesamt ergibt dies eine Datierung um 350 v. Chr., sodass dieses Werk eines der jüngsten Bücher der hebräischen heiligen Schrift ist.
Die Chronik endet mit einer Erinnerung an die Chance, die Israel rund 200 Jahre zuvor mit seinem Neubeginn gegeben worden war: „So spricht Kyrus, der König von Persien: Der HERR, der Gott des Himmels, hat mir alle Königreiche der Erde gegeben und hat mir befohlen, ihm ein Haus zu bauen zu Jerusalem in Juda. Wer nun unter euch von seinem Volk ist, mit dem sei der HERR, sein Gott, und er ziehe hinauf!“ (2. Chronik 36, 23).
Die nächste Folge behandelt diese frühere Perserzeit, als Esra, Nehemia und andere aus Babylon heimkehrten, um die Stadt und den Tempel wieder aufzubauen.
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