War Petrus jemals in Rom?

Wie viele Päpste vor ihm möchte Benedikt XVI. die Autorität der römisch-katholischen Kirche gegenüber den evangelischen Kirchen, denen es in seinen Augen an apostolischer Legitimation fehlt, erneut bekräftigen. Er beruft sich dabei auf den althergebrachten Glauben, dass der Apostel Petrus die Kirche in Rom gegründet hat. Vision untersucht die historischen Belege dieser zentralen Lehre. 

Das Primat Roms und der römisch-katholischen Kirche, das darauf basiert, dass der Apostel Petrus die Gemeinde in Rom gründete und dort später den Märtyrertod starb, wurde seit dem Mittelalter immer wieder infrage gestellt.

Damals waren es vielleicht die Waldenser, die als Erste Zweifel anmeldeten – eine Gruppe, die mit der herrschenden römischen Orthodoxie nicht konform ging. In ihren Augen war „das Schweigen der Bibel ganz entscheidend“, schrieb Cullmann in Petrus: Jünger – Apostel – Märtyrer (1952, 1960).

In den folgenden Jahrhunderten stellten auch andere sporadisch die Lehre infrage, dass Petrus in Rom gewesen sei, doch bis zum 19. Jahrhundert unternahm niemand einen Großangriff. Der Tübinger Professor Ferdinand C. Baur, der das Urchristentum anhand eines hegelschen Modells untersuchte, sah die Apostelgeschichte als Darstellung eines fortschreitenden Prozesses – der Herausforderung und Ablösung des petrinischen durch das paulinische Christentum, aus dem sich seiner Meinung nach das römische Christentum entwickelte. Petrus sei also an den Rand gedrängt worden, und es sei nicht notwendig, dass er in Rom gewesen sei oder als Führer der Kirche gesehen werde. Obgleich Baurs Kollegen diese Sichtweise ablehnten, gelang es ihm, der hergebrachten Meinung einen Schlag zu versetzen. Und zum großen Missvergnügen des Vatikans wurde das Thema im gesamten 20. Jahrhundert mit einer gewissen Vehemenz von anderen weiter bearbeitet.

Papst Benedikt hat das Thema seit seinem Amtsantritt wieder in die öffentliche Diskussion gebracht, doch er ist nicht der Einzige, der dies in den letzten Jahren tat. In den 1950er-Jahren machten römisch-katholische Archäologen eine peinliche Entdeckung: ein Grab in Jerusalem mit einem Ossuarium – einem Behälter für Knochen, wie sie bei jüdischen Grablegungen im 1. Jahrhundert verwendet wurden – auf dem „Simon Bar Jona“ eingraviert war. Mit diesem Namen bezeichnen die Evangelien den Apostel Petrus. Der Vatikan ließ sich jedoch nicht übertrumpfen und präsentierte bald darauf seine eigenen archäologischen Belege dafür, dass das Grab mit den sterblichen Überresten des Petrus unter dem Hochaltar des Petersdoms in Rom lag. Der Vatikan berief sich dabei auf einen Sarkophag, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entdeckt worden war und den Beauftragte der Kirche ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs genauer untersucht hatten.

DAS ECHTE GRAB? 

Leider lässt sich weder nachweisen, ob der Sarkophag oder das Ossuarium die echten Überreste des Petrus enthalten. Darum ist es vielleicht ergiebiger, die Archäologie beiseitezulassen und sich auf die historische Literatur zu konzentrieren, die jeder lesen und überdenken kann.

Auf diese Weise verfährt einer der wichtigsten Beiträge zu dieser Frage. Oscar Cullmann widmete in seinem Buch Petrus: Jünger – Apostel – Märtyrer sein Hauptaugenmerk dem literarischen Material, um diese Frage zu erhellen. Forschungen jüngeren Datums haben diese Vorgehensweise noch weitergeführt. In einem Vortrag bei einer Konferenz der European Association for Biblical Studies in Rom bemerkte Jürgen Zangenberg 2001: „Seit die Ausgrabungen unter dem Petersdom in den 1940er-Jahren begannen und 1953 in der offiziellen Erklärung von Papst Pius XII. gipfelten, dass die echten Überreste des Hl. Petrus gefunden worden seien, sind viele Forscher hinsichtlich der Bedeutung der Funde skeptisch geblieben.“ Er fuhr fort: „Selbst die stärksten Verfechter der Echtheit der Entdeckung können nicht leugnen, dass an den frühesten Gräbern wenig bis gar nichts einen klar christlichen Charakter aufweist. Die Gräber des 1. und 2. Jahrhunderts n.Chr. haben sehr viel Ähnlichkeit mit  den damals üblichen Grablegungen gewöhnlicher Leute aus den benachbarten Vierteln Roms.“ Zudem, so Cullmann, hätten römische Christen kein Interesse an der Stätte gezeigt, bis sie „um 160 n.Chr. ein einfaches Monument errichteten, das aus einer Nische und einem Hof bestand (das Tropaion des Gaius).“

Spätestens in der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. . . . identifizierten Christen ein einfaches Grab in der vatikanischen Nekropole als Grabstätte des Apostels Petrus. Dies ist alles, was sich über die Geschichte des Grabes vor 160 n.Chr. wissenschaftlich verantwortbar sagen lässt.“ 

Peter Lampe, „Early Christians in the City of Rome,“ in Christians as a Religious Minority in a Multicultural City

Zangenberg betonte allerdings, der Zweck dieses Monuments könne nicht gewesen sein, das Grab des Apostels zu bezeichnen, „da die Erinnerung an . . . Petrus’ ursprüngliche Grabstätte verloren war, als das Tropaion errichtet wurde. Die Existenz des Tropaion führte nicht zur Entwicklung einer christlichen Begräbnisstätte, sondern es wurde in eine Gräberstraße für Nichtchristen der Mittelschicht integriert.“ Erst zur Zeit Konstantins [im 4. Jh. n.Chr.], sagt Zangenberg, „wurde die Stätte fest und endgültig von Christen übernommen, sodass abgesehen von der direkten Umgebung des Tropaion alle Spuren früherer Grablegungen gelöscht wurden“.

Angesichts dieser Tatsachen dürfte Cullmann gut daran getan haben, dass er Belege für Petrus’ Anwesenheit und Märtyrertod in Rom in der Literatur der ersten Jahrhunderte suchte. Welche Belege gibt es nun, die den Autoritätsanspruch der Päpste für die römisch-katholische Kirche untermauern?

VERSCHLÜSSELT GESCHRIEBEN?

Wie allgemein anerkannt ist, schweigt das Neue Testament darüber, wo Petrus Anfang der 40er-Jahre n.Chr. war, nachdem ihn der jüdische König Agrippa verhaftet hatte und hinrichten lassen wollte (Apostelgeschichte 12). Mehrere Jahre später – etwa 49 n.Chr. – ist Petrus anlässlich einer Versammlung von Aposteln und anderen kirchlichen Führern  wieder in Jerusalem, wie Lukas in Apostelgeschichte 15 berichtet. Danach sagt das Neue Testament nichts über Petrus’ Aufenthaltsort, außer in einem Brief von ihm selbst, in dem er Grüße von Gemeindemitgliedern in Babylon ausrichtet (1. Petrus 5, 13).

Diejenigen, die Petrus eindeutig in Rom sehen möchten, deuten seine Verwendung des Wortes „Babylon“ als Chiffre für Rom. Andere halten dagegen, dass der Brief keine verschlüsselte Sprache verwendet, um den Aufenthaltsort des Apostels zu verschleiern.

Ein Forscher, der zu beweisen suchte, dass das Codewort „Babylon“ vor 70 n.Chr. und somit vor der Entstehung des Petrusbriefes gebräuchlich war und dass Petrus seinen Aufenthaltsort verheimlichen wollte, war der verstorbene Carsten Thiede. Doch er selbst schrieb: „Für einen Einwohner des Römischen Reiches war es absolut möglich und sogar ganz natürlich, das alte Babylonische Reich im Hinblick auf Größe, Glanz und Macht mit Rom zu vergleichen und ebenso, im negativen Sinn, im Hinblick auf Dekadenz und Sittenverfall.“ Obgleich der Begriff „Babylon“ vor 70 n.Chr. tatsächlich für Rom verwendet worden sein kann, geschah dies aber nicht, um den Namen der Hauptstadt des Reiches zu tarnen, sondern um  die Stellung Roms in der Welt durch Betonung seiner Abstammung hervorzuheben. Thiedes These, Petrus habe „Babylon“ geschrieben, um zu verheimlichen, dass er tatsächlich in Rom war, fehlt es daher an Glaubwürdigkeit.

In der später niedergeschriebenen Offenbarung des Johannes ist Babylon tatsächlich ein Codename für Rom, und bei Schriften des 2. Jahrhunderts ist dieses Merkmal klar feststellbar. Nach dem Fall Jerusalems und der Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahr 70 n.Chr. verwendeten Juden den Begriff „Babylon“ zudem mit einer polemischen Bedeutung, denn wie die Babylonier zuvor, hatten die Römer das Zentrum der jüdischen Religion zerstört. Dieser Wortgebrauch kam erst nach dem angenommenen Märtyrertod des Petrus auf, doch zu der Verwendung des Wortes „Babylon“ für Rom im Buch der Offenbarung würde er sicherlich passen.

Im Zusammenhang mit der Entdeckung der Vatikanischen Grotten schrieb Margherita Guarducci, laut dem jüdischen Geschichtsschreiber Josephus habe es zu der Zeit, als Petrus seinen Brief schrieb, im mesopotamischen Babylon keine Juden gegeben. Sie übersah allerdings, dass Josephus recht eloquent von den Spenden berichtet, die die Juden in Babylon für den Tempel nach Jerusalem sandten. Sein Hinweis darauf, dass keine Juden in Babylon waren, bezieht sich auf kriegerische Auseinandersetzungen, die dort in der Mitte des 1. Jahrhunderts stattfanden.

Auf der Basis der neutestamentlichen Texte ist es sehr wohl möglich, dass Petrus seinen Brief in der Stadt oder Provinz Babylon selbst schrieb. Sein Apostelamt galt den Juden, und wie Schriften späterer Jahrhunderte belegen, war Babylon sowohl vor als auch lange nach Petrus ein Zentrum des Judentums.

Dies wäre gewiss eine bessere Lösung für die Lokalisierung seines Aufenthaltsortes als die Alternative – nämlich dass Paulus es in seinem Brief an die Römer versäumte, Petrus anzusprechen, und dass Lukas Petrus’ Anwesenheit in Rom nicht bemerkte, als er und Paulus in der Folge von Paulus’ Berufung an Cäsar dorthin kamen (Apostelgeschichte 28), offenbar um 60 n.Chr. Aus dem Römerbrief selbst, der um 57 n.Chr. geschrieben wurde, geht hervor, dass Paulus nichts davon wusste, dass ein Apostel, schon gar nicht Petrus, vor ihm nach Rom gekommen sei. Wie die Waldenser bemerkten: Das Schweigen des Neuen Testaments hierüber ist ohrenbetäubend.
Wenn also das Neue Testament nicht beweist, dass Petrus in Rom war, welche anderen Beweise gibt es dann?

CLEMENS UND DER ZUSAMMENHANG

Da ein Beweis anhand des Neuen Testaments nicht möglich ist, gründen insbesondere katholische Autoren ihre Argumentation auf einen nichtbiblischen Text, der als erster Brief des Clemens an die Korinther bezeichnet wird. Dieser Brief stammt „wahrscheinlich“ – so Richard P. McBrien, Theologieprofessor an der University of Notre Dame und Autor von Lives of the Popes – von dem Clemens, der auf der offiziellen vatikanischen Liste der Päpste als Clemens I. geführt wird. Einigen katholischen Kirchenvätern zufolge ist er auch der Clemens, den Paulus in seinem Brief an die Philipper erwähnt (Philipper 4, 3), doch auch dies lässt sich nicht verifizieren.

Clemens’ Brief wird normalerweise auf kurz vor Ende des 1. Jahrhunderts datiert, und er schreibt darin über Petrus und Paulus:

Aber wir wollen mit den alten Beispielen aufhören und wollen kommen zu den . . . edlen Beispiele[n] unseres Geschlechts. Wegen Eifersucht und Neid sind die größten und gerechtesten Säulen verfolgt worden und haben bis zum Tode gekämpft. Halten wir uns vor Augen die tapferen Apostel: Petrus, der wegen ungerechtfertigter Eifersucht nicht eine und nicht zwei, sondern viele Mühen erduldet hat und der so – nachdem er Zeugnis abgelegt hatte – gelangt ist an den (ihm) gebührenden Ort der Herrlichkeit. Wegen Eifersucht und Streit hat Paulus den Kampfpreis der Geduld aufgewiesen: Siebenmal Ketten tragend, vertrieben, gesteinigt, Herold im Osten wie im Westen hat er den edlen Ruhm für seinen Glauben empfangen. Gerechtigkeit hat er die ganze Welt gelehrt und hat Zeugnis abgelegt vor den Führenden; so ist er aus der Welt geschieden und ist an den heiligen Ort gelangt – größtes Vorbild der Geduld.“

Aus diesem kurzen Abschnitt wird geschlossen, dass sowohl Petrus als auch Paulus in Rom den Märtyrertod erlitten. Doch Clemens’ Aussage ist aus dem Zusammenhang gerissen. In einem Artikel im Scottish Journal of Theology von 2004 hat Michael D. Goulder, emeritierter Professor für Bibelforschung an der englischen University of Birmingham, den Kontext des Berichts von Clemens untersucht. Anhand einer literarischen Analyse stellt Goulder fest, dass die Aussage über Petrus und Paulus im Zusammenhang mit dem vorausgehenden und dem nachfolgenden Text zu verstehen ist. Vor der oben zitierten Passage hatte Clemens sieben alttestamentliche Beispiele für Menschen genannt, die aufgrund von Eifersucht gelitten hatten – nur einer, Kains Bruder Abel, war tatsächlich deshalb getötet worden. Anschließend zeigt Goulder, dass jedes Beispiel aus dem Alten Testament eine Parallele aus dem Neuen Testament hatte, da jede Person oder Gruppe in ähnlicher Weise aufgrund von Eifersucht gelitten hatte. Unter diesen neutestamentlichen Beispielen nannte Clemens zuerst „die größten und gerechtesten Säulen“ der Kirche; sie haben wie Abel „bis zum Tode gekämpft“. Diese Beschreibung würde sicher auf den Apostel Jakobus zutreffen. Petrus, schrieb Clemens, war geflohen (wie Jakob vor seinem eifersüchtigen Bruder Esau), und Paulus war gefangen genommen worden (wie Josef im Alten Testament).

Mit anderen Worten: Nach Goulders Lesart ging es Clemens gar nicht darum, ob Petrus oder Paulus den Märtyrertod erlitten hatten oder nicht. Sein Brief identifiziert sie als Menschen, die infolge der Eifersucht von anderen gelitten haben. Clemens wollte mit diesen Beispielen nur die Korinther zurechtweisen, weil er sah, dass bei ihnen durch Eifersucht und Neid interne Probleme aufgekommen waren (1. Clemens 3). Angesichts dieser Klärung könnte Petrus auch in seinem Bett in Jerusalem gestorben sein, meint Goulder – weil Clemens uns darüber nichts sagt.

Für die Vertreter der Meinung, in Clemens’ Brief sei die Rede von Eifersucht, die zum Märtyrertod des Paulus geführt habe, ist der Tod des Apostels ein Problem, da sie generell auch Überlieferungen des 2. und 3. Jahrhunderts akzeptieren, dass der Apostel nach dem Brand Roms auf Befehl Neros getötet wurde. Bei dieser späteren Überlieferung hat der Tod des Paulus eher mit politischem Kalkül zu tun als mit Eifersucht. Die beiden Sichtweisen, von denen keine verifiziert werden kann, scheinen unvereinbar.

Über den Tod des Petrus wissen wir nichts aus Quellen des 1. Jahrhunderts, abgesehen vom letzten Kapitel des vierten Evangeliums: Johannes 21, 18 berichtet nur, dass er geführt wurde, wohin er nicht gehen wollte. Die nicht verifizierte Überlieferung, dass er kopfunter gekreuzigt wurde, kam im späten 2. Jahrhundert auf, fast 150 Jahre nach seinem Tod.

Zentral für die Vorstellung des Martyriums von Petrus und Paulus ist eine Formulierung bei Clemens, die auf Deutsch mit „Zeugnis ablegen“ übersetzt wird. Diesen Begriff verstehen viele im Sinn von „den Märtyrertod sterben“. Doch in diesem Sinne scheint es in keiner anderen Quelle des 1. Jahrhunderts vorzukommen. Dagegen wird der Begriff im gesamten Neuen Testament häufig im Sinne von „etwas bezeugen“ verwendet. Erst nach der Zeit Clemens’, im späteren 2. Jahrhundert, bekam er die Bedeutung eines „Blutzeugnisses“. Angesichts der literarischen Struktur des Clemensbriefes wäre es sicherer, den Begriff im Sinne des „Bezeugens“ zu lesen.

Warum wird dann so viel in diesen Abschnitt des Clemensbriefes hineininterpretiert?

Aus dem darauf folgenden Jahrhundert gibt es Berichte darüber, dass Führer anderer Sekten oder Häresien in Rom waren. Justinus Martyr, ein Bürger Roms, berichtete, dass der Ketzer Simon Magus in seine Stadt kam; dass Petrus dort gewesen sei, erwähnt er dagegen mit keinem Wort. Marcion, ein anderer Ketzer, soll einige Zeit in Rom verbracht haben. Hinzu kommt noch Valentinus, ein führender Lehrer einer Sekte, die heute als gnostisch klassifiziert wird. Offenbar wurde eine Präsenz in Rom zu einem Aspekt der Identität oder Authentizität einer religiösen Gruppierung. Da die aufstrebende orthodoxe christliche Bewegung Petrus als Führer der Apostel nach dem Tod Jesu sah, musste er irgendwie in die römische Szene hineingebracht werden, um der Religion Gültigkeit oder Autorität zu verleihen.

AUF DER SUCHE NACH BEWEISEN 

Die Bezüge des Clemensbriefes auf die Apostel wurden auch anderen literarischen Analysen unterzogen. Neuere Studien über den Wert der Erinnerungen von Augenzeugen in Gesellschaften mit mündlicher Überlieferung haben die Vorstellung wiederbelebt, dass die Evangelien tatsächlich Augenzeugenberichte des Lebens und der Lehre Jesu Christi waren. (S. etwa Richard Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses: The Gospels as Eyewitness Testimony [2006].)

Markus Bockmuehl, Professor für biblische und frühchristliche Studien in Oxford, hat diese Methode nun auf die Schriften des Clemens angewandt. Für ihn deutet die bloße Erwähnung von Petrus und Paulus mit Namen darauf hin, dass Clemens und die Gemeinde in Rom beide persönlich kannten, und beweist somit, dass Petrus in Rom war. Zu Bockmuehls Ehre sei gesagt, dass er dies mit Vorsicht angeht.

Dennoch drängen sich zwei Fragen auf. Da Clemens seinen Brief an die Gemeinde im griechischen Korinth schrieb – ist es die Erinnerung der Gemeinde in Korinth oder in Rom, auf die er sich bezieht? Bockmuehl nimmt das Letztere an, da es seine Vorstellung stützt, dass Petrus in Rom war. Folgt man zweitens der Argumentation Bockmuehls – bedeutet die namentliche Erwähnung einer Person, dass die Menschen dieser Person tatsächlich begegnet waren oder dass sie einfach von ihr wussten?

Ein Beispiel ist der Brief des Paulus an die Korinther. Er spricht von Petrus (oder Kephas, wie Paulus ihn nennt). Bedeutet dies, dass die Gemeinde in Korinth Petrus begegnet war oder direkten Kontakt zu ihm hatte? Möglich – aber nicht sicher. Aber was ist mit Jakobus, der manchmal als „Bruder des Herrn“ bezeichnet wird? Auch er wird namentlich erwähnt, doch war eine persönliche Begegnung mit Jakobus eigentlich nur möglich, wenn man nach Jerusalem kam. Mit anderen Worten: In allen Gemeinden wusste man von den Personen, die daran mitwirkten, das Evangelium zu verbreiten, wo auch immer sie waren – einfach weil von ihnen gesprochen wurde. In einigen Fällen mögen Gemeindemitglieder zu Feiertagen nach Jerusalem gereist sein oder um Paulus zu begleiten, und sie mögen Führern der Kirche persönlich begegnet sein, doch die Mehrheit der Kirchenmitglieder konnte sie nur vom Hörensagen kennen.

Bockmuehls These, der Aufenthaltsort des Petrus lasse sich daraus ableiten, dass die Adressaten des Clemensbriefes eine persönliche Erinnerung an den Apostel hatten, muss daher noch weit mehr untersucht werden, ehe sie Beweiskraft beanspruchen kann.

Im Lauf der Entwicklung dieser Diskussion hingen die vorgetragenen Meinungen jeweils vom konfessionellen Standpunkt der Autoren ab. Katholische Forscher sehen die Belege aus katholischer Perspektive; Protestanten begeg-nen den Behauptungen mit einer gewissen Skepsis. Natürlich gibt es auch Forscher, die keinen konfessionellen Standpunkt zu verteidigen haben und mit der historisch-kritischen Methode an das Material herangehen.

Als einer der aggressivsten Verfechter des römischen Primats in der frühen Kirche förderte Damasus den Kult der Märtyrer, indem er ihre Gräber restaurieren und mit seinen eigenen Marmorinschriften dekorieren ließ.“

Richard P. McBrien, Lives of the Popes

Was lässt sich nun zu den Beweisen dafür sagen, dass Petrus in Rom war? Bei der oben erwähnten Konferenz erklärte Zangenberg, es handle sich um eine Idee des 2. Jahrhunderts, die nach der Zeit Konstantins populär wurde. Der inzwischen verstorbene Professor John C. O’Neill von der Universität Edinburgh legte in seinem Vortrag bei jener Konferenz dar, wie Damasus I. (366-384) Geschichten über Petrus und Paulus in Rom instrumentalisierte. Das Ziel der Päpste, erklärte O’Neill, war, Roms Primat über die anderen Bistümer im Osten zu sichern: Die Politik der Kirche diktierte, dass Petrus nicht nur in Rom gewesen sein musste, sondern dass auch geglaubt werden musste, er sei dort gestorben.

Die Geschichte lässt erkennen, dass das Wissen um die Gräber der Apostel mit ihren Zeitgenossen des 1. Jahrhunderts starb. Das Beispiel der Apostel wurde gewürdigt und geehrt, doch diese Männer wurden nicht zur Verehrung auf einen Sockel gestellt wie in späteren Generationen. Schriften aus dem 2. Jahrhundert zeigen plötzlich ganz andere Glaubensinhalte und Praktiken bei denen, die behaupteten, Jesus Christus nachzufolgen, als Schriften aus dem 1. Jahrhundert.

War Petrus jemals in Rom? Eine schwierige Frage für die römisch-katholische Kirche, deren Anspruch auf apostolische Autorität, wie sich herausstellt, auf keinerlei realen Beweisen beruht. Die Unzulänglichkeit, deren der Papst die evangelischen Kirchen bezichtigt, gilt auch für die katholische Kirche. Wie die Prachtgewänder in „Des Kaisers neue Kleider“ sind die Beweise einfach nicht vorhanden.