Wer bin ich? Nikolaus, Santa Claus oder Weihnachtsmann?
In Weihnachten verliebte Eltern versichern ihren Kindern, dass er schon immer da war und auch immer da sein wird. Gerüchten zufolge hat er die Fähigkeit, an allen Orten gleichzeitig zu sein, und er weiß, wer brav war und wer nicht. Er weiß, wann man geschlafen hat, und er weiß, wann man wach ist. Und, so sagt das Märchen (erzählt meist in angelsächsischen Ländern): In einer Nacht des Jahres (zu Weihnachten) kommt er auf wundersame Weise mit seinem riesigen Bauch durch zahllose Schornsteine in den offenen Kamin im Wohnzimmer, um allen braven Kindern Geschenke zu bringen, und huscht dann wieder hinauf, nachdem er sich Berge über Berge von Plätzchen und Ströme von Milch einverleibt hat, die ihm zu seiner Freude als Opfergabe hinterlassen wurden.
Ältere Leser werden sich vielleicht noch erinnern, dass in manchen Gegenden Europas (speziell in den Alpenländern) bis vor wenigen Jahrzehnten der heilige Nikolaus und nicht der Weihnachtsmann am 5. oder 6. Dezember von Haus zu Haus ging – und noch ein ganz anderes Aussehen hatte. Er kam als Bischof, mit einer Bischofsmütze, und sein Begleiter war sein Diener, Knecht Ruprecht, der später dem spektakuläreren Teufel als Kinderschreck weichen musste. Im Mittelalter wurden die Kinder am Nikolaustag (6. Dezember) oder am Tag der unschuldigen Kinder (28. Dezember) beschenkt und nicht zu Weihnachten. Die europäisch-christliche Tradition, Weihnachten am 25. und 26. Dezember zu feiern, geht angeblich auf Martin Luther zurück, der die Heiligenverehrung vehement ablehnte.
Mehr zu den historischen Wurzeln später.
Das Bild des „Santa Claus“, wie ihn die Amerikaner heute nennen, das Bild dieses allgegenwärtigen, allwissenden, jovialen Opas hat sich allmählich im Lauf der Jahre entwickelt und sich verschiedenen Kulturen in aller Welt angepasst. Alte Rituale und Glaubensinhalte wurden mit neuen verwoben und ergaben einen farbenfrohen Bildteppich von Traditionen mit vielen gemeinsamen Elementen. Das moderne Bild des Weihnachtsmannes wurde überwiegend durch amerikanische Einflüsse über das Fernsehen, Filme und andere Medien geprägt und verbreitet – ein weltweit nunmehr ziemlich einheitliches Bild. Inzwischen exportiert man Weihnachtsbäume (samt Baumschmuck und Weihnachtsgebäck) sogar nach China und in manche arabischen Länder – nicht weil man dort zum Christentum übergetreten ist, sondern weil die Dekoration so beliebt und es in Geldkreisen dort schick geworden ist, eine Art Weihnachtsparty zu organisieren.
Heute hängen künstliche Weihnachtsmänner in Lebensgröße an deutschen Hauswänden, und in jedem Kaufhaus größerer Städte ist der rote Mann mit Zipfelmütze zur Weihnachtszeit aktiv und allen vertraut. Der Schlitten, gezogen von Rentieren (der nordischen Variation entliehen), gehört mittlerweile sogar in warmen Gegenden zur Grundausstattung. Und mit Lichterketten in die Dunkelheit skizzierte Häuser, Bäume und Skulpturen aller Art erinnern an den riesigen illuminierten Coca-Cola „Xmas-Truck“. „Väterchen Frost“, die russische (während der kommunistischen Zeit erfundene) Ersatzversion des Weihnachtsmannes, der allerdings erst am Jahresende Geschenke bringt, ist so beliebt, dass die russische Antimonopolbehörde 2007 auf Protest vieler Eltern hin eine Fernsehreklame verbot, in der die Existenz dieses „Weihnachtsmannes“ geleugnet wurde. Diese Werbung schade dem Ruf der Eltern, die ihren Kindern jedes Jahr aufs Neue von Väterchen Frost erzählten, begründete man das Verbot. Die Wahrheit ist eben manchmal immer noch unbequem.
Dass das heutige Santa-Claus-Brauchtum weitgehend in der jüngeren amerikanischen Tradition wurzelt, mag unwahrscheinlich anmuten; schließlich waren Weihnachten und andere von den puritanischen Einwandern des 17. Jahrhunderts als unziemlich und unbiblisch angesehene Festgebräuche in Teilen der Neuen Welt gesetzlich verboten. Doch es wurde trotzdem immer häufiger heimlich gefeiert, und ehe das Jahrhundert endete, wurde das Gesetz der Puritaner außer Kraft gesetzt. Die Einwanderer der zweiten und dritten Generation begannen eine neue Mittelschicht zu bilden, die den Luxus verfügbarer Einkommen und freier Zeit mit der Familie genoss. Und so wurde nach und nach aus den ungleichartigen Traditionen einer Einwandererbevölkerung schließlich ein homogeneres Brauchtum, das auch einen gemeinsamen, heroischen Weihnachtsmann für alle umfasste.
Doch der Stammbaum von Santa Claus, dem Weihnachtsmann, reicht noch weiter zurück als bis zu Amerikas europäischen Einwanderern. Wenn man die Historie dieser Figur verfolgt, stellt man fest, dass er unabhängig von der Legende über den Bischof von Myra in verschiedenen Gestalten seit Jahrtausenden existiert.
NIKOLAUS IN NEUEM GEWAND
Washington Irving war im 19. Jahrhundert der erste von mehreren amerikanischen Schriftstellern, die einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der modernen Figur des Santa Claus nahmen. Irving und sein gesellschaftlicher Kreis waren besorgt, dass die Weihnachtszeit für viele eine Zeit alkoholischer Exzesse und des Überbordwerfens aller Regeln war; man verschaffte sich z. B. Zugang in die Häuser der Wohlhabenden und forderte Bewirtung und Erfrischungen („Oh bring us some figgy pudding and a cup of good cheer“/Oh bringt uns Feigenpudding und einen Becher Frohsinn); unwilligen Gastgebern wurde Vandalismus angedroht. In der hehren Hoffnung, die saturnalischen Ausschweifungen, die in jener Jahreszeit (ähnlich wie im antiken Rom) grassierten, zu verwandeln, schrieb Irving in seiner satirischen Knickerbocker’s History of New York from the Beginning of the World to the End of the Dutch Dynasty über die Freuden einer anderen Art des Feierns.
In seinen durchaus ansprechenden Geschichten legte der beliebte Schriftsteller ein festes Fundament für den amerikanischen Santa Claus, indem er fantasievoll gemütliche häusliche Szenen beschrieb und sie mit dem heiligen Nikolaus (auf Holländisch volkstümlich Sinterklaas) in Verbindung brachte. Er war der Pionier der Umgestaltung des Nikolaus von einem statuesken, heiligen Mann mit langem Gewand und Bischofsmitra zu einem rundlichen, kleinen Kerl mit holländischer Kniebundhose und Mütze. Darüber hinaus machte er den heiligen Nikolaus zum Schutzpatron New Yorks und verlieh ihm, voller Nostalgie hinsichtlich der frühen Tage der Stadt als „Neu-Amsterdam“ erzählend, einige heute vertraute Züge: „In den waldigen Tagen Neu-Amsterdams erschien der gute St. Nikolaus oft in seiner geliebten Stadt, am Festnachmittag ritt er fröhlich durch Baumwipfel oder über Hausdächer; hier und da zog er herrliche Geschenke aus seinen Hosentaschen und ließ sie in die Kamine seiner Lieblinge fallen.“
Von Irvings Geschichte stammt auch die Tradition, dass Sinterklaas im 17. Jahrhundert Einwanderer aus den Niederlanden nach Neu-Amsterdam begleitete. Ein geschickter Versuch, das Fest von vielen seiner heidnischen Assoziationen zu befreien, ist seine Beschreibung des Masttopps jenes Einwandererschiffs: „Dem Architekten (…) lag es ferne, das Schiff mit heidnischen Götzen wie Jupiter, Neptun oder Herkules zu schmücken – heidnischen Gräueln, die, ich zweifle nicht, vielen edlen Schiffen Unglück und Schiffbruch bringen, – er hingegen, sage ich, richtete löblich als Masttopp ein anmutiges Bild des heiligen Nikolaus auf.“
Der neue Standard ab 1822 war ein winziger, „gar freundlicher alter Kobold“, der an Heiligabend in einem von acht winzigen Rentieren gezogenen Miniaturschlitten und mit einem Sack voller Spielsachen über der Schulter von Kamin zu Kamin flog – dank dem damals neu erschienenen Gedicht „Account of a Visit From St. Nicholas“ (Bericht von einem Besuch des heiligen Nikolaus). Die sofortige und anhaltende Beliebtheit dieses Gedichts, das Clement Clarke Moore zugeschrieben wird, ist sicher auch auf die darin enthaltenen Elemente aus einer Vielzahl von Kulturen zurückzuführen. Der Autor kombinierte Irvings innovative Beschreibungen mit althergebrachten skandinavischen, germanischen, englischen und russischen Traditionen. Selbst die Schotten und Iren konnten mit dem kleinen Kobold etwas anfangen, der den „Brownies“, „Little People“ oder „Leprechauns“ ihrer Heimatländer ähnelte.
DAS NEUE GESICHT VON WEIHNACHTEN
Auf der anderen Seite des Atlantik trug Charles Dickens mit A Christmas Carol, das 1843 in England erschien, zur Reformierung des Weihnachtsfestes bei. Obwohl Dickens Santa Claus in seinem Buch nicht nennt, ist es seinem Geist eindeutig verwandt. Das Buch, das die viktorianischen Ideale Heim und Herd vertrat, wurde sofort zu einem Bestseller. Es hat viel dazu beigetragen, das heutige Ideal von Weihnachten als familienfreundlicher Tradition zu formen und das frühere Weihnachten der ungezügelten Trinkgelage zu einem verblichenen Gespenst werden zu lassen.
Bald führte die damals beliebte amerikanische Wochenzeitschrift Harper’s Weekly die Tradition ein, alljährlich Zeichnungen des Illustrators Thomas Nast von „Santa“ mit rotem und pelzbesetztem Anzug, schwarzen Lederstiefeln und dazu passendem Gürtel zu bringen. Zwar waren Elemente von Dickens’ Roman erkennbar, doch Nast brachte als Einwanderer aus Europa auch Elemente seiner Herkunftskultur ein. Diese Vermengung europäischer und amerikanischer Bräuche hielt ein weiteres Vierteljahrhundert an und fügte noch weitere Details hinzu, z. B. wo Santa wohnt und arbeitet.
Als das 20. Jahrhundert anbrach, war Weihnachten in Amerika so allgemein akzeptiert, dass es ein gesetzlicher Feiertag wurde, und farbig illustrierte Weihnachtskarten (die im viktorianischen England bereits populär waren) wurden ein kommerzieller Erfolg. Beide Faktoren trugen dazu bei, das Bild des stämmigen Wohltäters in roten Hosen zu festigen (obwohl gelegentlich noch andere Farben zu sehen waren). Als die nächste Generation für die alljährlichen übernatürlichen Nachtbesuche reif war, galt ein mannsgroßer, beleibter Santa mit rosigen Wangen, schneeweißen Locken, ebensolchem Bart und rotem Anzug als die neue Norm. Dieses amerikanische Bild des Santa Claus, insbesondere die ikonischen Illustrationen, die der Werbegrafiker Haddon Sundblom nach 1931 für Coca-Cola schuf, ist nun in die ganze Welt exportiert worden.
DER NIKOLAUS UND SEINE NAMEN
Doch was hat es mit Santa Claus’ Vorläufern auf sich? Einige der älteren Formen bestehen noch heute neben den „neuen und verbesserten“ kommerziellen Versionen. Dies führt zu einer seltsamen Disharmonie verbundener Figuren. In Teilen Europas wurde eine Darstellung des Christkindes (Kris Kringle) bzw. des heiligen Nikolaus mit einer älteren Tradition verbunden: dem gehörnten, in Felle gehüllten, dunkelhäutigen Pelznickel/Belsnickle (Pelz + Nikolaus). Diese Furcht erregende Gestalt (oder Gruppen davon) machte zur Jahreswende die Nächte unsicher. In verschiedenen Winteraustreibungsriten sind diese Bräuche, vorwiegend in den Alpenländern, heute noch (oft auch nur mehr als Touristenspektakel) lebendig. Ähnliche Teufelsfiguren können in verschiedenen Teilen der Welt als Knecht Ruprecht, Rumpelklas, Krampus, Schmutzli, Hans Muff, Klaubauf, Gangerl, P?re Fouettard und sogar Beelzebub/Pelzebub allein unterwegs sein oder auch den Weihnachtsmann, Nikolo, Father Christmas, P?re No?l, Papa No?l und natürlich den guten, alten Nikolaus, jolly old Saint Nick, begleiten. Und bei jeder dieser Traditionen besteht eine Verbindung zum heiligen Nikolaus.
Der heilige Nikolaus von Myra aus dem 4. Jahrhundert war einer der am höchsten verehrten Heiligen der katholischen Kirche. In der russisch-orthodoxen Kirche wird Nikolaus neben Christus und Maria mit Kind als die dritte große Ikone aufgestellt. Obwohl die Belege bestenfalls unsicher sind, wird generell angenommen, dass er schon in jungen Jahren zum Bischof von Myra in Kleinasien ernannt wurde. Diese Überzeugung bildet die Basis der Traditionen der Knabenbischöfe, in denen die Hierarchie auf den Kopf gestellt wird und Dienstboten oder Kinder von ihren Herren oder Eltern Geschenke bzw. Dienstleistungen fordern (z. B. einst „Feigenpudding“ und heute „Ich wünsche mir zu Weihnachten ein Pony, eine Xbox 720 und einen Skatepark“). Solche Traditionen stammen von ähnlichen römischen Saturnalienritualen zur Wintersonnenwende ab.
Ebenso legendär sind Details über das spätere Leben des heiligen Nikolaus und darüber hinaus. Nachdem italienische Kaufleute seine angeblichen Überreste im 11. Jahrhundert nach Bari geholt hatten, wurde er Nikolaus von Bari genannt. Einige sagen, seine Gruft, die von einer eindrucksvollen Basilika überwölbt ist, liege in der Nähe eines alten Heiligtums der Befana, der legendären großmütterlichen Hexe, die auf einem Besenstiel ritt und dafür zuständig war, jeden Winter in einer Nacht in die Kamine hinab zu fahren und die Socken von Kindern mit Geschenken zu füllen. In Italien hat sich die Mär von La Befana gehalten, doch das Grab des heiligen Nikolaus wurde in den folgenden Jahrhunderten zu einer überwältigend beliebten Pilgerstätte.
Seine überbordende Geschichte enthält umfangreichen Stoff für Folklore, von der selbst die katholische Kirche einräumt, dass sie nicht notwendigerweise auf Tatsachen beruht. Im Jahr 1969 wurde der Festtag des heiligen Nikolaus sogar aus dem römisch-katholischen Liturgiekalender der zu feiernden Tage gestrichen, da seine Existenz mangelhaft belegt ist, doch die orthodoxe Kirche feiert weiterhin den 6. Dezember als seinen Festtag. Laut dem Catholic Information Network trat Nikolaus an die Stelle des russischen Mikoula, des Gottes der Ernte, „der Gott ablösen wird, wenn Gott zu alt wird“. Von Mikoula wird berichtet, er verteile zur Wintersonnenwende Geschenke an Kinder – eine Aufgabe, die im Volksglauben bald Russlands neuer Schutzheiliger Nikolaus übernahm (und heute das nichtreligiöse Äquivalent Väterchen Frost).
Nikolaus ist wahrscheinlich ein Schutzheiliger von weitaus mehr Orten und Berufen als jeder andere Heilige, doch am besten ist er in der westlichen Welt als Beschützer der Kinder und im Osten als Beschützer der Seeleute bekannt. Es gibt unzählige Geschichten in vielen Kulturen, oft über seine Güte und Freigiebigkeit, und häufig spielt die Zahl Drei dabei eine Rolle. Eine derartige Geschichte handelt davon, dass er drei Schwestern jeweils einen Beutel Gold oder eine Goldkugel geschenkt habe, sodass ihnen dank dieser Mitgift ein Leben in Prostitution erspart blieb. Die viktorianische Tradition, einander in der Weihnachtszeit Orangen zu schenken, soll sich auf diese Goldkugeln beziehen. (Drei symbolische Goldkugeln werden übrigens gemeinhin als Emblem der Pfandleiher verwendet – auch dieser Beruf steht unter dem weitreichenden Schutz des heiligen Nikolaus.)
Nikolaus soll sogar drei von einem bösen Metzger zerstückelte, in Salzlake eingelegte Knaben auf wunderbare Weise wieder lebendig gemacht haben. Diese Geschichte scheint eine blutrünstige Verballhornung einer anderen Legende zu sein, in der Nikolaus einfach drei Knaben vor dem Ertrinken im salzigen Meer rettete. Es kam vor, dass Seeleute sozusagen als Versicherung dem Heiligen drei Laibe Brot opferten, indem sie sie in die Wogen warfen, denn er konnte das Wasser beruhigen und sogar auf ihm wandeln. In manchen Gebieten opfert man ihm noch heute Brot oder anderes Weizengebäck (auch Plätzchen!). Das Weizenopfer geht auf eine Erzählung zurück, nach der er Myra auf wunderbare Weise vor einer Hungersnot rettete, indem er Weizen vermehrte, den er von durchreisenden Schiffen geliehen hatte; als dann die Massen gesättigt waren, blieb noch genügend Saatgut übrig, um die nächste Ernte zu sichern.
EIN PANTHEON VON VORLÄUFERN
Solche Erzählungen erinnern an eine ältere Gottheit: Poseidon, den Gott der Meere und Flüsse, Vater des geflügelten Rosses Pegasus – oder Poseidons römische Entsprechung Neptun. Als die römische Kirche an Macht gewann, übernahm sie viele der populären heidnischen Götter für christliche Zwecke. Heidnische Tempel und Götzenbilder wurden in Kirchen und Pilgerstätten für die Verehrung frisch getaufter Heiliger umgewandelt. Die Kirche übertrug einfach die Eigenschaften und Kräfte der alten Götter und Göttinnen auf die neuen Heiligen, und die Verehrung und Anbetung ging weiter wie zuvor. In der östlichen Welt nahm man den Dreizack Poseidons und gab ihn Nikolaus in Form eines Bischofsstabes, von dem gemeinhin gesagt wird, er stelle den Stab des guten Hirten dar – und der heute in der Weihnachtszeit aus gestreiftem Pfefferminz zu finden ist.
Während die „Christianisierung“ voranschritt, wurden weitere heidnische Riten und Figuren in diverse Nikolausadaptationen assimiliert. Sein Name und einige seiner Attribute fügen sich auch in die altnorwegische Mythologie ein: Ihr höchster Gott Odin nimmt Variationen des Namens Nickar, Hnikar oder Nick an, wenn er als zerstörerischer Wassergeist erscheint, der auf dem Wasser gehen und das Wasser beruhigen oder mit Stürmen aufwühlen kann. (Von ihm stammt der englische Name „Old Nick“ für den Teufel.) Odin erscheint auch als bärtige Gottheit mit einem Dreizack oder Speer, in der Mitte des Winters auf einem pegasusähnlichen, fliegenden Pferd reitend und oft begleitet von winzigen Helfern unterschiedlichen Auftretens, die Geschenke an die Guten verteilen und die Bösen züchtigen.
Dass Odin als gleichzeitig gut und böse dargestellt wird, scheint paradox, doch in polytheistischen Gesellschaften war es nicht unüblich, Götter mit guten und bösen Attributen zu verehren. Dies erklärt, wie „St. Nick“ und „Old Nick“ Ableitungen von derselben Figur sein können.
Andere, noch heute bekannte altnorwegische und teutonische Traditionen waren Speise- und Trankopfer zur Besänftigung der Gottheiten sowie heilige Bäume, die bis in den Himmel reichten und auf den Polarstern und die Heimstatt der Götter wiesen. Der heilige Nikolaus und seine Feste absorbierten solche Elemente ohne Schwierigkeiten, und jene Feste wurden über Jahrhunderte weiter begangen.
„Die Haltung der christlichen Kirche gegenüber heidnischem Brauchtum ist bekannt. Da sie nicht hoffen konnte, alte Praktiken auszurotten, suchte sie diese für den christlichen Gebrauch anzupassen, indem sie ihnen einen christlichen Inhalt und, so weit möglich, christlichen Charakter gab.“
MORGEN KOMMT DER NIKOLAUS
Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts schmähten die katholische Heiligenverehrung als Anathema und zögerten nicht, darauf hinzuweisen, dass sie heidnisch-polytheistische Rituale fortsetzte. Doch die Traditionen um Nikolaus waren nicht so leicht auszumerzen. Nun war es das frisch adoptierte Christkind, das bestimmte, welche Kinder Geschenke bekamen (am 24. oder 25. Dezember) und welche bestraft wurden, doch um dem Volksgeschmack entgegenzukommen, wurde der Heilige manchmal in einer untergeordneten Rolle beibehalten und erschien als der dunkle, gelegentlich gehörnte Kobold-Helfer, der an den griechischen Pan bzw. römischen Faunus (dessen Festtag der 5. Dezember war) erinnerte. In den Niederlanden hat Sinterklaas die Reformation dagegen fast unbeschadet überlebt. Jedes Jahr kommt er in einem Boot mit seinem weißen Pferd an, begleitet von seinem eigenen Helfer, dem Schwarzen Peter/Zwarte Piet. Dieser verteilt Leckereien unter den braven Kindern und droht unartigen Kindern eventuell, sie in seinem leeren Sack nach Spanien mitzuschleppen, während der Heilige mit der Mitra auf dem Haupt am 5. Dezember, dem Vorabend seines Festtages, den Menschen Geschenke ins Haus bringt.
Trotz Sinterklaas bewirkte die Reformation, dass viele Weihnachtsbräuche und mit Nikolaus verbundene Riten zunächst nicht weiter ausgeübt werden konnten, und durch den Dreißigjährigen Krieg, der Europa von 1618 bis 1648 verwüstete, wurden althergebrachte Traditionen und Gebräuche noch stärker untergraben. Doch mit der Zeit, mit Reisen und mit Toleranz erholten sich Santa Claus und seine vielgestaltigen Inkarnationen, und es scheint nicht, dass sie dieses Jahr das letzte Mal an allen Ecken der Welt ein fröhliches „Ho, ho, ho“ verkünden.