Gott und Wissenschaft versöhnen
Angesichts der Attacken fundamentalistischer Neo-Atheisten gegen Gott und Religion könnte meinen, Wissenschaft und Religion seien völlig unvereinbar. Owen Gingerich, emeritierter Harvard-Professor für Astronomie und Wissenschaftsgeschichte, ist da anderer Meinung; für ihn waren Glaube und Wissenschaft nie ein Widerspruch.
Wer die Diskussion verfolgt, die Wissenschaftler wie Richard Dawkins und andere Neo-Atheisten mit ihren Attacken gegen Gott und Religion ausgelöst haben, könnte meinen, Wissenschaft und Religion seien völlig unvereinbar, und ein respektabler Wissenschaftler könne unmöglich an Gott glauben oder religiös sein. Die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern, seien sie nun religiös oder nicht, widerspricht Dawkins’ extremem säkularem Fundamentalismus (siehe unseren Artikel „Atheisten im Gottlosigkeitswahn“), dessen aggressive, intolerante, antireligiöse Argumentation ihrer Meinung nach keine repräsentative wissenschaftliche Ansicht wiedergibt. In ihren Augen leistet er mit seiner Position dem Anliegen eines effektiven Dialogs zwischen Wissenschaft und Religion einen sehr schlechten Dienst – gerade in einer Zeit, die ihn besonders dringend braucht.
PHYSIK, ASTROPHYSIK UND METAPHYSIK
Owen Gingerich ist ein Wissenschaftler, dessen Perspektive der von Dawkins entgegengesetzt ist. Er bekennt sich zu einem stabilen Glauben an einen persönlichen, allmächtigen Gott und findet, Wissenschaft und Religion seien nicht nur vereinbar, sondern sie ergänzten einander; und er meint auch, in der Art, wie Wissenschaftler ihre Sicht von Gott und Religion zum Ausdruck brächten, sei mehr Ausgewogenheit, Genauigkeit und Mäßigung vonnöten.
Gingerich ist emeritierter Harvard-Professor für Astronomie und Wissenschaftsgeschichte und Senior Astronomer Emeritus des Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. Er ist ein angesehener Kenner des Lebens und Werkes von Kopernikus und dabei ein frommer Mennonit. Für ihn waren Glaube und Wissenschaft nie ein Widerspruch. Gingerich wurde 2005 eingeladen, die William Belden Noble-Vortragsreihe in Harvard zu halten. Sein Buch ist ein Destillat dieser drei Vorträge und spiegelt nicht nur seine breite Erfahrung und tiefe Kenntnis der Physik wider, sondern auch ein erfrischendes Maß an intellektueller Bescheidenheit und Demut.
In seinen Vorträgen beschreibt Gingerich seine lebenslange „Liebesgeschichte mit den Sternen“. Doch seine Interessen sind nicht darauf beschränkt; sie umfassen neben der Astrophysik auch Physik, Geologie und Wissenschaftsgeschichte. Er fand Interesse an den Grundsätzen, nach denen Wissenschaft funktioniert, ihrem Wahrheitsanspruch und der Beziehung dieses Anspruchs zu religiösem Glauben. Fasziniert stellt er fest, dass wir noch heute mit den gleichen Fragen ringen wie Kopernikus, Kepler und Galileo – z.B. der Frage nach der Schnittstelle von Wissenschaft und Religion sowie besonders der Rolle des biblischen Literalismus.
„So riesig ist ohne Frage das göttliche Werk des allmächtigen Schöpfers!“
Und so ergründet Gingerich die Natur der Wissenschaft: Sie ist mehr als bloßes Faktensammeln. Er schreibt, sie sei wie „ein großartiger Bildteppich, gewoben aus Fakten und den Hypothesen, die diese Fakten zu einem umfassenden Erklärungsmuster verbinden“. Er erklärt: „Wissenschaftler arbeiten mit der Physik, doch sie haben (vielleicht unbewusst) auch ein breiteres System von Überzeugungen, eine Metaphysik – d.h. wörtlich etwas, das über Physik hinausgeht.“
Sein Material präsentiert ein breites wissenschaftliches Bild der physischen Welt, doch darüber hinaus untersucht er den metaphysischen Rahmen, in dem das Universum verstanden werden kann. Statt sich mit den Konflikten zwischen Wissenschaft und Religion aufzuhalten, meint dieser Astronom: „Der jüdisch-christliche philosophische Rahmen hat sich als besonders fruchtbarer Boden für die Entstehung der modernen Wissenschaft erwiesen.“
DAS KOPERNIKANISCHE PRINZIP
In seinem ersten Kapitel stellt Gingerich die Frage: „Ist Mittelmäßigkeit (mediocrity) eine gute Idee?“ und erklärt, wie diese vom kopernikanischen Prinzip abgeleitete Idee als wissenschaftliches Instrument etabliert wurde. Das Mittelmäßigkeitsprinzip (Mediocrity Principle) bedeutet in der Astronomie, dass weder die Erde noch unsere Sonne noch unsere Galaxie etwas Außergewöhnliches sind, und als philosophische Aussage bedeutet es auch, dass der Mensch keine Sonderstellung im Kosmos einnimmt. Gingerich sieht nur vier Beispiele in der Wissenschaftsgeschichte, bei denen dieses Prinzip vernünftigerweise herangezogen werden konnte, um wissenschaftliche Erkenntnis zu erweitern: 1. bei Kopernikus und seinem heliozentrischen Kosmos, 2. bei der Größe unseres Sonnensystems, 3. bei der Entfernung von Sternen zum Sonnensystem und 4. beim Alter des Universums. Bei drei der vier Beispiele wurde das kopernikanische Prinzip nicht bemüht (beim dritten Beispiel war dies der Fall). Andererseits zeigt er, dass SETI, die Suche nach außerirdischer Intelligenz, fest im koperni-kanischen Prinzip verankert ist: Das Universum wimmelt vielleicht von Lebensformen wie der unseren.
Warum ist das von Bedeutung?
„Die Wissenschaft arbeitet in einem begrenzten Rahmen, um ihr buntes Bild der Natur zu schaffen. Doch die Realität geht weit tiefer.“
Der Punkt, auf den es Gingerich ankommt, ist, zu zeigen, dass das Mittelmäßigkeitsprinzip als Erklärungsmuster keine gute Idee ist. In einer breit angelegten historischen und naturwissenschaftlichen Erörterung, die die Komplexität des Gehirns, die einzigartigen Vorzüge von Eisen, die Natur der Proteine und Demut angesichts des Unbekannten umfasst, bemerkt er: „Das Prinzip der Mittelmäßigkeit als Grundlage zum Verständnis unseres Platzes im Universum scheint mir eine generell ungeprüfte Ideologie zu sein – eine, die ich so leicht nicht unterschreiben würde.“ Die Menschheit ist sehr wohl außergewöhnlich und könnte durchaus einzigartig im Kosmos sein, doch klugerweise vermeidet Gingerich „unbefugte menschliche Grenzen für Gottes Kreativität“.
Er glaubt mit Leidenschaft daran, dass „das Universum ein sinnvoll zusammenhängender und lebensfreundlicherer Ort ist“, wenn in ihm „Ziel und Absicht“ sind. Für ihn existiert über den Kosmos hinaus und innerhalb des Kosmos ein superintelligenter Schöpfer, und seine Planung und Absicht haben ein Universum hervorgebracht, das für die Existenz eines sich selbst bewussten Lebens ideal geeignet ist. Der Professor betont, dieser Glaube habe seine Leistung als Wissenschaftler in keiner Weise beeinträchtigt.
ZUFALL ODER PLANUNG?
Gingerich entwickelt seine Argumentation weiter und fragt: „Kann ein Wissenschaftler es wagen, an Planung zu glauben?“ In diesem geistsprühenden, faszinierenden Kapitel erörtert er das Alter des Universums und wie fein es auf intelligentes Leben abgestimmt ist, die Kompliziertheit des Urknalls, Sechs-Finger-Zwergenwuchs und die Entdeckungen der DNA, die Mängel von Intelligent Design (Intelligente Planung, Neokreationismus) als politische Bewegung und die Weiterungen der mysteriösen, fehlenden [oder instabilen] „Masse fünf“, die anscheinend wesentlich für unsere Existenz ist. Diese faszinierende Anomalie erfordert ein altes Universum, um die Bedingungen zu schaffen, in denen die schwereren Elemente entstehen, u.a. Kohlenstoff und Sauerstoff, von denen Leben abhängig ist.
Gingerich überlegt, ob Mutationen inspiriert sein können – Bestandteil von Gottes unaufhörlich fortgesetztem Wunderwerk. Hat Gott das Universum überhaupt geschaffen, um die Reaktionen und unbekannten Prozesse zu ermöglichen, nach denen Leben entstehen konnte? Solche metaphysischen Fragen bezeichnet er als „ideologische Wasserscheide“, an der sich die atheistische Evolution von der theistischen Evolution scheidet und wo die Möglichkeiten der Wissenschaft enden, eine Entscheidung in der einen oder anderen Richtung zu finden.
Hier nimmt er Dawkins unter Beschuss dafür, dass er seine Position als Sprecher der Wissenschaft als „Rabaukenkanzel für den Atheismus“ nutze. Gingerich geht davon aus, dass Dawkins mit seiner ungezügelten Argumentation fast mühelos mehr Menschen für Intelligent Design (Intelligente Planung) gewinnt als jeder führende Theoretiker dieser Bewegung.
„Mir gibt der Glaube an eine Ziel-Ursache, einen Schöpfergott, eine stimmige Erklärung, warum das Universum so geplant scheint, dass es für die Existenz von intelligentem, selbstreflektierendem Leben geeignet ist.“
Mit alledem argumentiert Gingerich für die Möglichkeit, dass das Universum absichtlich und intelligent geplant wurde und einen Zweck hat, doch er räumt gern ein, dass man vielleicht die „Augen des Glaubens“ haben muss, um eine solche Vorstellung zu akzeptieren. Er erkennt an, dass das Aufzeigen einer solchen Planung nur Überzeugungs- , nicht aber Beweiskraft haben kann. Dennoch glaubt er fest daran, dass Gott der Schöpfer und Bewahrer des Universums ist. An Galilei anschließend nennt er die Heilige Schrift das Buch, das den Weg zu Gott erhellt, und die Natur das Buch, das einen Gott der Absicht und Planung offenbart. Trotz dieses Glaubens, wiederholt der Professor, sei er „nicht weniger Wissenschaftler“.
WARUM UND WOZU
Als Nächstes widmet sich Gingerich einigen „Fragen ohne Antworten“. Die Wissenschaft verdankt ihren beachtlichen Erfolg der Tatsache, dass sie Fragen stellt, die sie beantworten kann. Dies inspiriert den Professor, Fragen zu stellen, die scheinbar nicht zu beantworten sind – die Art von philosophischen Fragen, die außerhalb der Reichweite der Wissenschaft liegen. Er zitiert die aristotelische Distinktion zwischen „Wirk-Ursache“ und „Ziel-Ursache“, um zu illustrieren, was er meint. Wissenschaftler untersuchen, wie Dinge funktionieren (Wirk-Ursachen), und sie sind oft sehr gut darin, solche Fragen zu klären. Erklärungen, warum, wozu Dinge funktionieren (Ziel-Ursache), könnten hingegen das Fassungsvermögen der Wissenschaft übersteigen.
Ein Beispiel, vielleicht das ultimative Beispiel für eine Ziel-Ursache ist der Glaube, dass Gott das Universum und alles Leben geschaffen hat. Warum er das tat, ist eine metaphysische Frage, die nicht Sache der Wissenschaft, sondern des religiösen Glaubens ist. Als Mann des Glaubens stellt Gingerich viele derartige Fragen nach der „Ziel-Ursache“. Doch als Mann der Wissenschaft will Gingerich wissen, wie die Dinge entstanden sind, und sein Buch ist randvoll mit faszinierenden Erkenntnissen und Theorien.
Was sind die „unbeantwortbaren Fragen“, denen Gingerich nachgeht? Die wichtigsten sind vielleicht diese: Warum gibt es etwas und nicht nichts? Hat das Universum einen Sinn, ein Ziel, und ist die Menschheit Teil dieses Ziels? Warum ist das Universum so verständlich – gehört das auch zu seinem Ziel? Impliziert Evolution notwendigerweise Ziellosigkeit? Oder könnten kleine genetische Mutationen „von einem Geist der Zielhaftigkeit und Absicht bestimmt“ sein? Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Wie erklärt man die einzigartigen Fähigkeiten des Menschen gegenüber allen anderen Lebewesen?
Gingerich hat keinerlei Zweifel, dass innerhalb der beobachtbaren Realität „ein theistischer Raum ist, eine Perspektive, um Gottes Universum zu sehen, ein Universum, wo Gott eine interaktive Rolle spielen kann – unbemerkt von der Wissenschaft, doch nicht ausgeschlossen durch die Wissenschaft“.
„Es wären nur kleine Änderungen zahlreicher physikalischer Konstanten erforderlich, um das Universum unbewohnbar zu machen. Um es mit Freeman Dyson zu sagen: Irgendwie ist dies ein Universum, das wusste, dass wir kommen würden.“
Der Autor selbst fasst sein Buch treffend zusammen: „Ich akzeptiere lieber ein Universum, das mit einer Absicht und einem Ziel von einem liebenden Gott geschaffen wurde, und vielleicht mit gerade genug Freiheit geschaffen, dass Gewissen und Verantwortung dazugehören. Sie gehören vielleicht sogar zu der Begründung dafür, dass es in einer Welt mit ihrer eigenen, besonderen Integrität auch Schmerz und Leid gibt. Dies ist für mich Gottes Universum.“
LEBEN UND FRÖMMIGKEIT
Gingerichs Buch ist nachdenklich, und es macht nachdenklich. Er ist ein begabter Kommunikator, der über sein komplexes Forschungsgebiet in einer klaren, leicht verständlichen Sprache schreibt. Seine wissenschaftlichen und religiösen Erkenntnisse dürften sowohl gläubige als auch nicht gläubige Leser fesseln. Natürlich können derartige Erkenntnisse von vornherein strittig sein, je nach der eigenen Einstellung des Lesers. Ob man ihnen schließlich zustimmt oder nicht, die Sprache und die Logik des Autors sind überlegt und überzeugend, und der Leser wird mit Sicherheit Dinge entdecken, die er nicht wusste.
Doch wie Gingerich selbst einräumt, sind manche Fragen vielleicht einfach nicht zu beantworten. Da sie spirituell sind, liegen sie außerhalb der Reichweite der Wissenschaft, und die Bibel spricht sie vielleicht auch nicht direkt an. Dies ist gewiss schon in sich aufschlussreich.
So gern wir auch die Antworten auf all die „unbeantwortbaren Fragen“ des Lebens wüssten – wenn die Wissenschaft sie nicht beantworten kann und die Bibel sie nicht anspricht, wäre dann der Schluss vernünftig, dass wir dieses Wissen für unser Wohlergehen nicht brauchen? Genau wie Gott dieses Universum schuf und warum er es schuf, geht z.B. weder aus der Wissenschaft noch aus der Bibel klar hervor. Wir wissen weder, wie Gott überhaupt Leben schuf, noch wann oder wie genau sich das Leben ausbreitete, das in den Fossilien zu finden ist und heute existiert. In der Tat: „Was verborgen ist, ist des HERRN“ (5. Mose 29, 28); wäre es in diesem Fall nicht nützlicher, sich auf Dinge zu konzentrieren, die wir wissen können? Gott sagt uns, dass uns „alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient“ (2. Petrus 1:3), in der Bibel gegeben ist.
Auch wenn wir nicht wissen, wie das Leben begann, wird uns doch sehr klar gesagt, wie wir das Leben, das wir haben, leben sollten – was das Ziel, der Sinn des menschlichen Lebens ist, und was schließlich das Endergebnis sein wird.