Verwerfung und Wiederherstellung
Diese Folge über die Propheten befasst sich mit dem Leben von Jeremia und Hesekiel und ihren Botschaften an das Volk Juda.
VORIGES LESEN
(TEIL 25)
ZUR SERIE
Soweit bekannt ist, sind die Priester-Propheten Jeremia und Hesekiel einander nie begegnet – und dennoch überschnitten sich ihre Lebenswege und Botschaften, während das Volk Juda im 6. Jahrhundert v. Chr. immer tiefer in den Götzendienst abrutschte und schließlich in babylonische Gefangenschaft geriet. Jeremia war schon 627 als Prophet aktiv, im 13. Regierungsjahr des Reformkönigs Josia (einer anderen Lesart zufolge war dies sein Geburtsjahr, etwa fünf Jahre vor Hesekiel). Was Jeremia seinem Volk zu sagen hatte, war eine Erweiterung dessen, was schon der frühere Prophet Jesaja verkündet hatte: dass Jerusalem bald angegriffen werden und fallen würde.
Jeremia hatte schon in seiner Jugend von Gott erfahren, dass er als Prophet auserwählt war (Jeremia 1, 4–7). Er war ein Nachkomme des Hohepriesters Eli aus der Zeit Samuels, als die Stiftshütte in Silo war, nördlich von Jerusalem. Salomo hatte das Priestergeschlecht ausgewechselt; er erwählte Davids Priester aus Zadoks Geschlecht und schickte die Priester aus Elis Geschlecht fort aus Jerusalem (siehe 1. Könige, 1–2).
Jeremia wehrte sich zunächst gegen seine Berufung, folgte ihr dann aber etwa 40 Jahre lang in Juda und bei den Nachbarvölkern. Wie Hesekiel, dessen Wirken zu einem großen Teil dieselben Völker und Gebiete betraf und sich über 20 Jahre erstreckte, war auch er dann unerbittlich im Angesicht seiner Zuhörer und sprach, obgleich sie nicht hören wollten (vgl. Jeremia 1, 7, 17–19; Hesekiel 2, 7–8 und 3, 7–10).
„Der Prophet ist […] Zeuge des göttlichen Pathos – einer, der Zeugnis über Gottes Fürsorge für die Menschen ablegt.“
Zeichen und Symbole
Jeder der beiden Männer vermittelte Orakel mithilfe symbolischer Szenen, die zeigten, was geschehen würde und warum.
So kaufte Jeremia auf Gottes Anweisung einen Gürtel aus Leinen und band ihn sich um – ein Symbol für Gottes Nähe zu seinem Volk. Dann ging er damit zum Fluss Euphrat, versteckte ihn zwischen den Felsen und holte ihn später zurück, verrottet und nutzlos – so sollten die Babylonier das nichtsnutzige Juda und Jerusalem ruinieren (Jeremia 13, 1–11).
Ein anderes Mal sollte Jeremia Juda helfen, Gottes Rolle als Schöpfer Israels zu verstehen. Auf Gottes Befehl suchte er eine Töpferwerkstatt auf und sah dem Töpfer bei der Arbeit zu (Kapitel 18); später zerschlug er ein Tongefäß – das bedeutete, dass Gott als ihr Schöpfer sein Volk und die Stadt Jerusalem zerschlagen würde (Kapitel 19). Einmal trug der Prophet ein Joch (Kapitel 27–28), um zu symbolisieren, dass Nebukadnezar über die gesamte Region herrschen würde und dass sich alle bereitwillig unterwerfen müssten. Als ihm befohlen wurde, während der babylonischen Belagerung Jerusalems ein Feld zu kaufen, sollte der Prophet zeigen, dass Gott nach einer Zeit zulassen würde, dass sein Volk seine Ländereien wiederbekam (Kapitel 32).
Auch Hesekiels prophetisches Wirken umfasste viele Inszenierungen dessen, was kommen sollte. So wurde ihm befohlen, ein Modell der Stadt Jerusalem im Zustand der Belagerung und Hungersnot zu machen sowie viele Tage auf der Seite zu liegen, um die Bestrafung Israels, Judas und der Stadt für ebenso viele Jahre der Sünde zu symbolisieren (Hesekiel 4). Dann musste er sich Kopf und Bart rasieren und das Haar in drei Stücke teilen, um darzustellen, dass die Stadt unter Seuchen und Hungersnöten leiden würde und dass ihre Einwohner überfallen und verstreut werden würden (Kapitel 5).
Die Bücher im Vergleich
Obgleich andere Bücher mehr Kapitel haben, ist Jeremia das biblische Buch mit den meisten Wörtern – eine Sammlung vieler Botschaften, zum Teil von seinem Schreiber Baruch zusammengestellt (siehe Jeremia 36, 1–4, 32; 45, 1).
Seine Überschneidungen mit Hesekiel zeigen sich nicht nur im allgemeinen Thema ihrer Bücher –Verurteilung und Wiederherstellung –, sondern auch in detaillierteren Aspekten. Hierzu zählt das Bild eines siedenden Kessels, der von Norden kommt und für die einfallenden Babylonier steht – Hesekiel weitet dies in dem Sinn aus, dass Jerusalem selbst bei diesem Überfall ein Topf wird, in dem die Einwohner gekocht werden (Jeremia 1, 13–15; Hesekiel 11, 1–12; 24, 3–13). Ähnlich wird das Bild der beiden sündigen Schwestern, die für das Nordreich Israel und das Südreich Juda stehen (Jeremia 3, 6–11), in Hesekiel 23 ausgeweitet. Drittens korrigiert Jeremia eine populäre Analogie über saure Trauben, die von den Vätern gegessen wurden, aber den Kindern die Zähne stumpf machen, um zu zeigen, dass jeder Mensch für seine eigenen Sünden zur Verantwortung gezogen wird, nicht für die von anderen. Diese Klarstellung wird in Hesekiel weiter ausgearbeitet (Jeremia 31, 29–30; Hesekiel 18).
Es überrascht nicht, dass Hesekiel und Jeremia das Gleiche über falsche Propheten denken, deren Aussagen aus ihren eigenen Gedanken kommen, nicht von Gottes Inspiration. Gottes Worte durch Jeremia klingen an – „Sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN“ –, wenn Hesekiel diese Warnung von Gott übermittelt: „Weh den törichten Propheten, die ihrem eigenen Geist folgen und haben doch keine Gesichte!“ (Jeremia 23, 16; Hesekiel 13, 3).
Was die positiven, auf Wiederherstellung bezogenen Aspekte seiner Botschaft betrifft, so erinnert Jeremia an Gottes Verheißung für sein Volk: „Ich will ihnen einerlei Sinn und einerlei Wandel geben, dass sie mich fürchten ihr Leben lang, auf dass es ihnen wohlgehe und ihren Kindern nach ihnen“ (Jeremia 32, 39). Bei Hesekiel ist zu lesen: „Ich will ihnen ein anderes Herz geben und einen neuen Geist in sie geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben“ (Hesekiel 11, 19).
Jeremia ist auch für die Verheißung eines neuen Bundes bekannt. In Kapitel 31 spricht er davon, dass die Häuser Israel und Juda zu ihrem Land zurückkehren und Gott dem geretteten Volk in einer neuen Ordnung seinen Geist gibt: „Das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.“ Auf das gleiche Geschehen bezieht sich Hesekiel: „Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun“ (Jeremia 31, 33; Hesekiel 36, 27–28).
Ein Ereignis ganz am Ende der prophetischen Sequenz über die Wiederherstellung betrifft ein Volk, das bei Hesekiel als „Gog aus Magog“ bezeichnet wird (Kapitel 38–39). Hesekiel scheint sich auf Jeremia zu stützen, wo von einer letzten Konfrontation die Rede ist, in der Gott alle Völker richtet: „Ich rufe das Schwert über alle herbei, die auf Erden wohnen, spricht der HERR Zebaoth […] und sein Schall wird dringen bis an die Enden der Erde. Der HERR will mit den Völkern rechten und mit allem Fleisch Gericht halten; die Schuldigen wird er dem Schwert übergeben, spricht der HERR“ (Jeremia 25, 29, 31). Hesekiel erwähnt, dass Gog eine Gruppe von Völkern anführt, von der Gott schon zuvor durch seine Propheten gesprochen hat; vielleicht ist dies ein Verweis auf den oben angeführten Text von Jeremia: „So spricht Gott der HERR: Du bist doch der, von dem ich vorzeiten geredet habe durch meine Diener, die Propheten in Israel, die in jener Zeit weissagten, dass ich dich über sie kommen lassen wollte?“ (Hesekiel 38, 17).
„[Jeremia] hielt sich an frühere Traditionen, insbesondere das Deuteronomium, das eine ähnliche Sicht über die Notwendigkeit, nach der Thora zu leben, und die Konsequenzen der Nichteinhaltung widerspiegelt.“
Gelegentlich wird angemerkt, dass der Niedergang des alten Israels seinen prophetischen Ursprung in 3. Mose 26 hat, wo spezifische Segnungen für Gehorsam und Flüche für Ungehorsam verheißen werden. Der generelle Inhalt des Kapitels wird in 5. Mose 28 wiederholt, kurz vor dem Einzug der Kinder Israels in das Gelobte Land. Die Passage in 3. Mose skizziert fünf Stufen immer härterer Strafen, wenn der Ungehorsam anhält. Die letzte Stufe ist Exil und Gefangenschaft. Sowohl Jeremia als auch Hesekiel verweisen bei ihrer Beschreibung dessen, was nach dem babylonischen Angriff kommen wird, auf diese Flüche für den Ungehorsam des Volkes.
Beide Propheten erlebten die Ereignisse mit, die zum Fall Jerusalems führten, und auch das, was danach kam, aber an unterschiedlichen Orten und aus unterschiedlicher Perspektive. Jeremia war vor allem in und um Jerusalem aktiv (später in Ägypten) und sprach zu Königen, Führern und dem Volk Juda, während Hesekiel unter den verschleppten Judäern in Babylonien wirkte.
Wie es zum Niedergang kam
Judas letzter rechtschaffener König, Josia, führte religiöse Reformen durch, nachdem das Buch des Gesetzes im Tempel entdeckt worden war – möglicherweise das 5. Buch Mose (2. Könige 23). Sein Leben und seine Reformen fanden 609 ein jähes Ende, als er die ägyptischen Truppen, die unterwegs waren, um die Assyrer am Euphrat gegen die Babylonier zu unterstützen, zum Kampf forderte. Er wurde in der Schlacht verwundet und starb kurz darauf in Jerusalem.
In Jeremia 7 hält der Prophet seine erste datierbare Predigt im Tempel: Es war 609 v. Chr., zu Beginn der Herrschaft von Josias Sohn Jojakim (26, 1). Detailreich behandelt die Predigt die Sünden des Volkes und die kommende Bestrafung. Wenn sich die Judäer nicht besserten, würde der Tempel zerstört werden und es würde ihnen ergehen wie dem nördlichen Reich Israel. Auf dessen Gebiet, in Silo, war einst das religiöse Zentrum des alten Israels gewesen; es war zerstört worden und dann waren die nördlichen Stämme in Gefangenschaft geraten: „So will ich mit dem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, auf das ihr euch verlasst, und mit der Stätte, die ich euch und euren Vätern gegeben habe, ebenso tun, wie ich mit Silo getan habe, und will euch von meinem Angesicht verstoßen, wie ich verstoßen habe alle eure Brüder, das ganze Geschlecht Ephraim“ (Jeremia 7, 14–15).
Eine von Judas Sünden, die hier besonders angesprochen wurde, war das Kinderopfer, für das Gott keinerlei Toleranz hat: „[Die Leute] haben die Höhen des Tofet im Tal Ben-Hinnom gebaut, um ihre Söhne und Töchter zu verbrennen, was ich nie geboten habe und mir nie in den Sinn gekommen ist“ (Vers 31).
Diese Predigt erzürnte die Zuhörer – „die Priester, Propheten und das ganze Volk“ – so sehr, dass sie Jeremia sagten, er müsse sterben. Doch der Tumult kam Mitgliedern der Obrigkeit zu Ohren, die vom Haus des Königs herbeikamen, um den Fall zu untersuchen. Da sie erkannten, dass Jeremia Worte Gottes sprach, verteidigten sie ihn (26, 8, 10–11, 16, 24).
Im Jahr 605 besiegten die Babylonier unter ihrem Kronprinzen Nebukadnezar die Ägypter bei Karkemisch in Nordsyrien (46, 2) und später im selben Jahr einen Rest von ihrem Heer in Zentralsyrien. Dies war das Jahr, in dem Jeremia inspiriert wurde, eine bestimmte Botschaft von Gott zu übermitteln. Sie betraf die Dauer seines bisherigen Wirkens und die verstockte Weigerung des Volkes Juda, sich zu bessern. Ebenfalls im gleichen Jahr wurde Nebukadnezar König von Babylon. Nun kündigte Gott 70 Jahre Gefangenschaft für das uneinsichtige Volk und die Verwüstung seines Landes an, „sodass dies ganze Land wüst und zerstört liegen soll. Und diese Völker sollen dem König von Babel dienen siebzig Jahre“ (25, 11).
Im selben Jahr verkündete Jeremia eine Prophezeiung gegen Ägypten (46, 2) und wies seinen Schreiber Baruch an, eine Schriftrolle mit allen bisherigen Prophezeiungen anzufertigen (36, 1–4; 45, 1). Als die Babylonier voranmarschierten, in die Ebene Palästinas eindrangen und Jerusalem immer näher kamen, vollzog Jojakim einen Seitenwechsel von Ägypten zu Babylon (2. Könige 24, 1a). Jeremia durfte nicht im Tempelbezirk sprechen; deshalb beauftragte er im Jahr darauf Baruch, den Inhalt der Schriftrolle dort vorzulesen (Jeremia 36, 5–10). Nach einigen Lesungen hörte der König selbst von ihrem Inhalt, wurde zornig und zerschnitt und verbrannte die Schriftrolle. Er befahl, Baruch und Jeremia gefangen zu nehmen, was allerdings nicht gelang, weil sie bereits untergetaucht waren. Auf Gottes Befehl schrieben Jeremia und Baruch den Text der Schriftrolle erneut und mit Zusätzen nieder (Verse 20–32). Doch während der folgenden Jahre und dann nochmals einige Jahre vor der letzten Belagerung Jerusalems wird über Jeremia nichts berichtet.
Unterdessen setzten die Babylonier ihren Vormarsch fort und griffen erstmals 605 Jerusalem an. Sie verschleppten bestimmte Judäer nach Babylon, darunter Daniel und andere von königlicher und adliger Abstammung (siehe Daniel 1, 1–7). Jojakim blieb als Vasall auf Judas Thron, bis er 598 rebellierte, woraufhin die Babylonier wieder gegen Jerusalem zogen. Jojakim starb, bevor sie ankamen, sodass der Angriff seinen Sohn Jojachin traf. Dessen instabile Herrschaft endete jedoch 597, nach nur drei Monaten. An seiner Stelle übernahm sein 21-jähriger Onkel, der sich den Königsnamen Zedekia gab. Jojachin wurde mit seiner Familie, weiteren judäischen Adligen, Kriegern, Handwerkern und Mitgliedern von Priesterfamilien nach Babylon gebracht – unter ihnen auch Hesekiel (siehe Jeremia 13, 15–27; 2. Könige 24, 8–18).
Nun trat Jeremia wieder in Jerusalem auf, um weiter zu prophezeien. Zu Beginn von Zedekias Regierungszeit empfing der Prophet eine Botschaft durch eine Vision über gute und schlechte Feigen (Jeremia 24, 1–2). Die guten Früchte standen für die Juden im babylonischen Exil, die schlechten für die verbliebenen Juden im Land Israel und in Jerusalem – das schloss den König und seinen Haushalt ein – sowie in Ägypten, wohin einige geflüchtet waren. Die Verschleppten in Babylon sollten einst zu ihrem Land und zu Gott zurückkommen, die anderen aber sollten verworfen werden: „Ich will sie zum Bild des Entsetzens, ja des Unglücks machen für alle Königreiche auf Erden, zum Spott und zum Sprichwort, zum Hohn und zum Fluch an allen Orten, wohin ich sie verstoßen werde, und will Schwert, Hunger und Pest unter sie schicken, bis sie ganz vertilgt sind aus dem Lande, das ich ihnen und ihren Vätern gegeben habe“ (Verse 9–10).
Gott machte deutlich, dass Jeremias prophetisches Wirken Vernichtung, aber auch Wiederherstellung betreffen werde: „Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen“ (Jeremia 1, 10). Diese vier Begriffe kommen in Jeremias Schriften und an mehreren anderen Stellen im Alten Testament immer wieder vor, auch im Buch Hesekiel: „Und die Heiden, die um euch her übrig geblieben sind, sollen erfahren, dass ich der HERR bin, der da baut, was niedergerissen ist, und pflanzt, was verheert war. Ich, der HERR, sage es und tue es auch“ (Hesekiel 36, 36).
Doch einige in Babylon verbreiteten die Vorstellung, das Exil werde nicht lange dauern. Daraufhin sandte Jeremia durch Zedekias Boten einen Brief an die Gefangenen dort: „So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels: Lasst euch durch die Propheten, die bei euch sind, und durch die Wahrsager nicht betrügen, und hört nicht auf die Träume, die sie träumen! […] Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe“ (Jeremia 29, 8, 10).
Ein Prophet unter den Gefangenen namens Schemaja hörte, wie der Brief vorgelesen wurde, und schrieb eine Antwort an den Priester Zefanja und andere führende Männer in Jerusalem – er behauptete, der falsche Prophet sei Jeremia, und er erklärte, warum Zefanja ihn nicht zurechtgewiesen habe. Doch Gott hatte das letzte Wort; er verhieß durch Jeremia, dass Schemaja bestraft werden würde, „denn er hat [das Volk] mit seiner Rede vom HERRN abgewendet“ (Verse 24–32).
Hesekiels prophetisches Wirken
Als Jeremias Brief in Babylon vorgelesen wurde, war Hesekiel einige Kilometer entfernt mit anderen im Exil an einem Nebenfluss des Euphrat. Möglicherweise hatte Daniel, der an Nebukadnezars Hof diente, mit dafür gesorgt, dass die neue Welle von Gefangenen dort angesiedelt wurde. Über die Umstände seiner Berufung berichtet Hesekiel: „Im dreißigsten Jahr am fünften Tage des vierten Monats, als ich unter den Weggeführten am Fluss Kebar war, tat sich der Himmel auf, und Gott zeigte mir Gesichte“ (Hesekiel 1, 1). Er erfuhr, dass es seine Aufgabe als Prophet sein sollte, seinem eigenen rebellischen Volk im Exil zu erklären, was Jerusalem und seinem Heimatland in naher Zukunft bevorstand.
Dieses „dreißigste Jahr“ ist unter Bibelforschern recht umstritten. Manche glauben, es sei Hesekiels Alter, andere, es beziehe sich auf die Jahre im Exil oder die Zeit der Reformen unter Josia. Klar scheint, dass das 30. Jahr und das Datum von Hesekiels erster Vision identisch sind.
„Von den größeren prophetischen Büchern ist nur Hesekiel chronologisch geordnet.“
Die Einleitung fährt fort: „Am fünften Tag des Monats – es war das fünfte Jahr, nachdem der König Jojachin gefangen weggeführt war –, da geschah das Wort des HERRN zu Hesekiel, dem Sohn des Busi, dem Priester, im Lande der Chaldäer am Fluss Kebar. Dort kam die Hand des HERRN über ihn“ (Hesekiel 1, 2–3). Hesekiel wird als Priester im fünften Jahr von Jojachins Gefangenschaft bezeichnet. Somit war er mindestens 30 Jahre alt, hatte also das Alter für die Initiation als Priester (siehe 4. Mose 4, 3; 1. Chronik 23, 3). Er dürfte während der Reformzeit unter Josia in einem Priesterhaushalt aufgewachsen sein und in Jerusalem gelebt haben. Die erste Vision des Propheten kam im fünften Jahr seiner Gefangenschaft, im Jahr 593.
Die Jahre von Hesekiels prophetischem Wirken sind in zwei Teilen zu verstehen: vor und nach Jerusalems Fall (593–586 und 586–571). Was der Prophet in diesen beiden Zeiträumen sagte, unterscheidet sich im Ton. Vor 586 ging es bei den Botschaften darum, was Jerusalem bevorstand: dass Gottes Gegenwart im Tempel und in Jerusalem enden würde, dass beide zerstört werden würden, dass das Ende des Volkes unmittelbar bevorstand und die meisten noch verbliebenen Judäer verschleppt werden würden. Dieser Teil der Geschichte steht in den Kapiteln 1 bis 24, die überwiegend von Gottes Gericht handeln. Es folgt ein Zwischenteil mit Prophezeiungen über die Nachbarvölker (Kapitel 25 bis 32). Nach dem Fall der Stadt handelten Hesekiels Botschaften davon, dass es letztlich Hoffnung gab und dass das Volk, die Stadt und der Tempel wiederhergestellt werden würden (Kapitel 33 bis 48).
In den ersten 24 Kapiteln empfängt Hesekiel also Visionen und Prophezeiungen für einen Siebenjahreszeitraum bis zum Fall Jerusalems: „Und es begab sich im sechsten Jahr am fünften Tage des sechsten Monats. Ich saß in meinem Hause und die Ältesten von Juda saßen vor mir. Da fiel die Hand Gottes des HERRN auf mich. […] Da führte mich der Geist fort zwischen Himmel und Erde und brachte mich nach Jerusalem in göttlichen Gesichten zu dem Eingang des inneren Tores, das gegen Norden liegt“ (Hesekiel 8, 1, 3). Was er dann sah, war eine Vision der Ereignisse am Tempel in Jerusalem: Götzendienst der schlimmsten Art.
Was Hesekiel als Vision sah, ging auch in die Botschaft ein, die er dann am Fluss Kebar bei Babylon den Ältesten übermittelte, die vor ihm saßen. Er zeigte ihnen, was Jerusalem bevorstand, und erklärte, warum: „Und der Geist hob mich empor und brachte mich nach Chaldäa zu den Weggeführten in einem Gesicht durch den Geist Gottes. Und das Gesicht, das ich geschaut hatte, verschwand vor mir. Und ich sagte den Weggeführten alle Worte des HERRN, die er mir in Gesichten gezeigt hatte“ (Hesekiel 11, 24–25).
In Jerusalem schlug Jeremia viel Widerstand entgegen und er wurde sogar verhaftet, als er immer wieder erklärte, die Stadt werde an die Babylonier fallen (Jeremia 37–38). Er riet, mit ihnen zu kooperieren, obgleich der König Ägypten und dessen Verbündete um Hilfe bitten wollte (Jeremia 27, 4–11). Zedekia konnte seine eigensinnigen Berater nicht zügeln und entschied, sein Abkommen mit Nebukadnezar zu brechen, was 588 zum dritten Angriff der Babylonier führte (siehe 2. Könige 24, 18–20). Jeremia berichtet: „Im neunten Jahr Zedekias, des Königs von Juda, im zehnten Monat kam Nebukadnezar, der König von Babel, und sein ganzes Heer vor Jerusalem und belagerten es. Und im elften Jahr Zedekias, am neunten Tage des vierten Monats, brach man in die Stadt ein“ (Jeremia 39, 1–2).
„Bemerkenswert an der elfjährigen Regierungszeit Zedekias (597–587 v. Chr.) waren Judas steter Machtverlust und die verzweifelten Bemühungen Jeremias, die kommende Katastrophe abzuwenden.“
Zedekia floh, wurde aber festgenommen und Nebukadnezar vorgeführt. Dieser tötete seine Söhne vor seinen Augen und mit ihnen alle jüdischen Adligen, ließ dann Zedekia blenden und in Ketten nach Babylon bringen. Jerusalem und der Tempel wurden niedergebrannt, die Mauern geschleift und die meisten Überlebenden verschleppt. Einige Arme wurden zurückgelassen, um auf den Feldern und in den Weinbergen zu arbeiten (Verse 4–10).
Dass Hesekiel von diesen Entwicklungen erfuhr, ist zwei separaten Passagen zu entnehmen: „Und es geschah das Wort des HERRN zu mir im neunten Jahr am zehnten Tage des zehnten Monats: Du Menschenkind, schreib dir diesen Tag auf, ja, eben diesen Tag; denn der König von Babel hat sich an eben diesem Tage vor Jerusalem gelagert“ (Hesekiel 24, 1–2). „Und es begab sich im elften Jahr unserer Gefangenschaft am fünften Tag des zehnten Monats, da kam zu mir ein Entronnener von Jerusalem und sprach: Die Stadt ist genommen“ (Hesekiel 33, 21).
Die Großen Propheten: Epilog
Jeremia überlebte, wenn auch als Gefangener von Nebukadnezars Leibwache; dann kam er auf dessen Befehl frei und konnte wählen, ob er im Land Juda bleiben oder nach Babylon gehen wollte (Jeremia 39, 11; 40, 1–5). Jeremia entschied, vorerst im Land zu bleiben, wo nun der von dem babylonischen König ernannte jüdische Statthalter Gedalja regierte (40, 5–6). Als dieser ermordet wurde und das Volk nach Ägypten fliehen wollte, weil es die Reaktion der Babylonier fürchtete, versuchte Jeremia, die Menschen davon abzubringen, und prophezeite ihren Untergang, wenn sie darauf beharrten (Kapitel 41–42). Sie beharrten darauf und nahmen auch Jeremia mit nach Ägypten, wo er fortfuhr, gegen ihre Entscheidung zu prophezeien: Der Pharao von Ägypten werde in die Hände Nebukadnezars fallen – und die Judäer, die dorthin geflohen waren, mit ihm (43, 10–11; Kapitel 44).
Ab hier wird über Jeremias Aufenthaltsort nichts mehr berichtet. Sein Buch schließt mit einer Sammlung von Orakelsprüchen gegen die Nachbarvölker Israels und einer Prophezeiung über den Fall von Babylon selbst (Kapitel 46–51). Sie ähneln Hesekiels Prophezeiungen über viele dieser Völker (Hesekiel 25–32).
Um 560 wurde Jeremias Schriften ein Nachtrag angefügt, der den Fall Jerusalems nochmals darstellt und Jojachins Freilassung aus Babylon nach Nebukadnezars Tod erklärt (Kapitel 52). Über Hesekiel ist bekannt, dass er in der zweiten Hälfte seines Buches viel über die künftige Wiederherstellung beider Häuser Israels prophezeite und eine abschließende Prophezeiung über Ägypten verkündete (Hesekiel 29, 17–21), bevor die Babylonier dort einfielen.
Sowohl Jeremia als auch Hesekiel spielten eine wichtige Rolle bei der Verkündigung von Gottes Willen für das Königreich Juda, der Erfüllung der Prophezeiungen von Verschleppung, die lange zuvor im 3. und 5. Buch Mose niedergeschrieben worden waren. Sie sagten auch die Wiederherstellung beider Häuser Israels im Norden und im Süden voraus. In welchem Maße das nach 70 Jahren in Erfüllung ging, als die von ihnen noch Verbliebenen zurückkehrten, wird in einer künftigen Folge dieser Serie behandelt werden. In der nächsten Folge schließen wir die Untersuchung der zweiten großen Abteilung innerhalb der hebräischen heiligen Schrift mit einem Blick auf die Kleinen Propheten ab.
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(TEIL 27)