Leben, Tod und Würde

Unter den vielen sozialen Fragen, von denen wir heute lesen und hören, ist das Thema Euthanasie vielleicht das emotionalste. Sollen wir nach dem Recht streben, über unseren Tod selbst zu bestimmen?

Der englische Schriftsteller William Somerset Maugham soll am Ende seines Lebens gewitzelt haben: „Sterben ist eine sehr langweilige, trostlose Angelegenheit. Und ich empfehle, absolut nichts damit zu tun zu haben.“ Wer würde ihm nicht spontan zustimmen und seinem Rat gern folgen – wenn es nur so einfach wäre. Vor über 2.000 Jahren schrieb der griechische Philosoph Epikur: „Gegenüber allem anderen kann man sich Sicherheit verschaffen. Aber im Hinblick auf den Tod bewohnen wir alle eine Stadt ohne Mauern.“

Die Gewissheit des Todes ist klar; was wir nicht wissen, ist, wie, wann und unter welchen Umständen er kommt, und das kann unseren Seelenfrieden untergraben. Wenn wir vom Tod eines geliebten Menschen erfahren, ist es sehr tröstlich für uns, zu hören, er oder sie sei friedlich im Schlaf gestorben. Wir trauern trotzdem um Menschen, die uns etwas bedeutet haben, aber wir finden einen gewissen Trost, wenn sie nicht leiden mussten.

GUTER TOD? 

Einige Jahrhunderte vor der Zeit Christi prägten die Griechen das Wort euthanatos, „guter Tod“, und seither wird darüber diskutiert, was dies bedeutet. Ist es ein leichter Tod, ein natürlicher Tod oder ein würdiger Tod? Wer entscheidet das? Kann ein Mensch die Angst und die Ungewissheit des Todes eliminieren, indem er die Kontrolle über sein Ableben selbst übernimmt? Ist selbstbestimmter Tod ein Affront gegen Gott – eine Sünde? Wie viel sollte ein Mensch über die Umstände seines Abschieds von diesem Leben bestimmen können, und hat er ein Recht auf die beste medizinische Unterstützung, wenn er sich entscheidet, seiner körperlichen Existenz ein Ende zu setzen? In der antiken Kultur der Griechen und Römer war Selbsttötung in unterschiedlichem Maß geduldet. Im 5. Jahrhundert v. Chr. gab es jedoch eine bemerkenswerte Ausnahme: Die Pythagoreer, die an eine unsterbliche menschliche Seele glaubten, lehnten Selbsttötung offenbar direkt ab.

Weitere frühe Diskussionsbeiträge kamen von den Philosophen Platon und Aristoteles. Gemäß der pythagoreischen Tradition sprachen sich beide gegen Selbsttötung aus (Platon schrieb allerdings, sie könnte unter bestimmten Bedingungen zulässig sein). Ihr Denken hat die gesamte philosophische Tradition des Abendlandes geprägt.

Die Bibel enthält keine ausdrückliche Antwort auf die Frage, ob es akzeptabel sei, sich das Leben zu nehmen. Die wenigen biblischen Fälle von Selbstmord betreffen jedoch Menschen, die sich sträflich von Gott abgewandt hatten: Israels König Saul (1. Samuel 28 und 31) und Judas Iskariot (Matthäus 27, 3-5). Frühe Theologen argumentierten im Namen des Christentums jedoch weitgehend mit Platon gegen den Freitod. Augustinus von Hippo festigte die diesbezügliche Position der „orthodoxen“ Kirche mit der Behauptung, aufgrund von Gottes Gebot gegen das Töten sei auch Selbsttötung verboten. Im Mittelalter stärkte Thomas von Aquin die kirchliche Lehrmeinung weiter; er lehrte, Selbsterhaltung sei ein Bestandteil des Naturrechts.

Doch im 15. Jahrhundert kamen mit der Renaissance neue Perspektiven auf, die die im Christentum vorherrschende Verurteilung des Freitodes infrage stellten. Ein wieder erwachtes Interesse an wissenschaftlicher Forschung und Bildung förderte den Rationalismus – die Überzeugung, dass vernünftiges Denken besser sei als Glauben an das Übernatürliche. Dies war die Voraussetzung für den Individualismus: Er sieht den Menschen als Individuum, das nach Freiheit von äußeren Kräften strebt. So wurde der Begriff „guter Tod“ mit neuen Vorstellungen und Meinungen verbunden. Für manche Historiker bedeutet diese Bewegung eine Rückkehr zu griechisch-römischen Werten.

In seinem 1516 veröffentlichten Buch Utopia beschrieb Thomas Morus eine ideale Gesellschaft, die den Freitod sanktionieren würde. „Indessen, wenn die Krankheit nicht nur unheilbar ist, sondern auch noch den Kranken beständig quält und martert, dann reden die Priester und Behörden ihm zu, er möge bedenken, dass er […] seinen eigenen Tod bereits überlebe; deshalb möge er nicht darauf bestehen, die Seuche und Ansteckung noch weiter zu nähren und nicht zaudern, in den Tod zu gehen, da ihm das Leben doch nur eine Qual sei; somit möge er getrost sich selbst aus diesem schmerzensreichen Leben wie aus einem Kerker oder einer Folter befreien oder willig gestatten, daß andere ihn dieser Qual entrissen.“ Allerdings war Morus ein prominenter Katholik; viele Wissenschaftler haben daraus geschlossen, dass seine Beschreibung eines staatlich sanktionierten Freitodes satirisch gemeint war.

Der englische Philosoph Francis Bacon soll im frühen 17. Jahrhundert den Begriff Euthanasie in Verbindung mit einem natürlichen Tod geprägt haben. Über ein Jahrhundert später schrieb der schottische Philosoph David Hume in seinem Essay „Of Suicide“, es „sollten sowohl Einsicht als Tapferkeit uns anhalten, uns auf einmal von dem Dasein zu befreien, wenn es eine Last wird“.

NEUE ÜBERLEGUNGEN 

Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde unter europäischen und amerikanischen Intellektuellen offen darüber diskutiert, hoffnungslos Kranke, die für sich selbst und die Gesellschaft eine Last waren, zu töten.

Zusätzlich zu neuen philosophischen Auseinandersetzungen mit dem Thema begann sich durch naturwissenschaftliche und technologische Fortschritte eine neue Macht der Medizin zur Überwindung von Krankheit und zur Verlängerung des Lebens zu manifestieren. Antibiotika, Impfstoffe und andere medizinische Errungenschaften ließen Ärzte wie Wundertäter erscheinen. Für viele war nicht länger Gott der Einzige, an den man sich wandte, wenn es um Leben und Tod ging. Das Recht, Erklärungen über die Heiligkeit des Lebens abzugeben, einst allein der Kirche vorbehalten, musste diese nun mit weltlichen Instanzen teilen. Über das Thema Selbsttötung hinaus kam in manchen Kreisen die noch heiklere Frage der Sterbehilfe auf, die über viele Jahrhunderte hinweg eine nur untergeordnete Rolle in den Auseinandersetzungen der Philosophen gespielt hatte. Sollten Ärzte mit all ihren neuen Mitteln und technischen Möglichkeiten Menschen, die todkrank waren und/oder unerträgliche Schmerzen hatten, bei einem selbstbestimmten Sterben helfen? In einigen Kreisen begann dieser Gedanke Zustimmung zu finden.

Einen empfindlichen Rückschlag erlitten die Befürworter der Sterbehilfe allerdings, als die Nazi-Gräuel nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt wurden. Die Berichte über die grauenhaften Verbrechen unter dem Deckmantel von medizinischer Forschung und „Euthanasie“ schockierten die Welt. Wenn die Nazis von Euthanasie sprachen, meinten sie Vernichtung. Es ging ihnen nicht darum, Menschen von ihrem Leid zu erlösen, sondern darum, die Gesellschaft von „lebensunwertem Leben“ zu säubern. Ihr Beispiel zeigt, in welchem Maß Wissenschaft und Medizin zu abscheulichen Instrumenten des Bösen zweckentfremdet werden können.

Trotzdem machten Wissenschaft und Medizin weiter staunenswerte Fortschritte. Doch in der Mitte des 20. Jahrhunderts waren medizinische Errungenschaften ein zweischneidiges Schwert geworden. Die wachsende Fähigkeit zur Verlängerung von Leben wurde begrüßt, doch die mangelnde Klarheit der medizinischen Ethik darüber, wie und wann diese neuen Möglichkeiten einzusetzen seien, wurde als Problem wahrgenommen. Man erkannte, dass verlängertes Leben nicht unbedingt erträgliches Leben ist, und so wurde der Begriff des natürlichen Todes immer verschwommener – ein Opfer der menschlichen Findigkeit.

Angesichts dieser neuen Realität erklärte Papst Pius XII. im Jahr 1957, die katholische Kirche erkenne das Recht eines Sterbenden an, außerordentliche medizinische Maßnahmen abzulehnen, wenn der Tod unmittelbar bevorstand und die Maßnahmen nur das Leiden verlängern würden. Weiter gab er bekannt, die Kirche werde den Einsatz schmerzlindernder Mittel erlauben, selbst wenn sie potenziell das Sterben beschleunigten, solange die primäre Absicht nicht die Beendigung des Lebens sei. Dies wurde als „Prinzip der doppelten Wirkung“ bekannt: Mit der erklärten Absicht, Leid zu lindern, werden Schmerzmittel verabreicht, deren wahrscheinliche Nebenwirkung ist, das Sterben des Patienten zu verkürzen. Die Bereitschaft des Papstes, diese „passive Sterbehilfe“ zu dulden, gilt als Wendepunkt, und sie bewirkte ein neues Aufleben der Euthanasiediskussion, die im darauffolgenden Jahrzehnt an Dynamik gewann.

Eines der Themen in den turbulenten 1960er-Jahren war ein zunehmendes Bewusstsein für die Bürgerrechte des Einzelnen. Dieser Begriff ließ sich leicht auf das Recht eines Patienten ausweiten, über alle ärztlichen Maßnahmen angemessen informiert zu werden. Dazu gehörte auch das Recht, eine ärztlich angeordnete Behandlung zu verweigern. Da der Begriff „Euthanasie“ im Zweiten Weltkrieg gleichsam vergiftet worden war, sprachen die Befürworter der Sterbehilfe nun vom „Recht zu sterben“.

Die nächsten Jahrzehnte brachten eine Reihe weithin publizierter Fälle in England und Amerika, in denen das Recht zu sterben bestritten wurde. Die Öffentlichkeit verfolgte die Gerichtsverfahren mit großer Aufmerksamkeit und erfuhr durch diese Familientragödien, wie belastend und traumatisierend Entscheidungen über Leben und Tod sind. In den USA kam die Frage letztlich vor den Obersten Gerichtshof, der entschied, dass es kein durch die Verfassung geschütztes Recht zu sterben gibt, aber auch empfahl, das Thema weiter auszuloten.

AKTIVE STERBEHILFE 

Heute bedeutet das Wort „Euthanasie“, den Tod eines hoffnungslos Kranken bewusst herbeizuführen oder zu erleichtern, um ihn von seinem Elend zu erlösen. Synonyme sind „Sterbehilfe“ und „ärztliche Sterbehilfe“. Oft wird das Wort mit den Zusätzen aktiv, passiv, freiwillig, mit Zustimmung, auf Verlangen, de facto, unfreiwillig und nichtfreiwillig qualifiziert. Aktive Sterbehilfe beinhaltet eine bewusste Handlung, die direkt zum Tod eines Sterbenskranken führt. Passive Sterbehilfe bedeutet, dass medizinische Maßnahmen oder die Lebenserhaltung durch Geräte auf Anweisung des Arztes, des Patienten oder der Familie eingestellt werden. Dieser Begriff wird neben De-facto-Euthanasie auch verwendet, wenn der Tod die sekundäre Wirkung einer ärztlichen Maßnahme ist, z. B. der Verabreichung von Morphium in hohen Dosen, um Schmerz zu lindern. Freiwillig oder auf Verlangen geschieht Sterbehilfe mit Zustimmung des Sterbenden; unfreiwillig ist sie, wenn der Patient weiter leben will, aber trotzdem euthanasiert wird. Nichtfreiwillig ist Euthanasie, wenn die Zustimmung des Betroffenen weder eingeholt noch gegeben wird, z. B. weil er im Koma liegt oder sich aus anderen Gründen nicht mitteilen kann.

Der in den USA bekannteste Vorkämpfer der aktiven Sterbehilfe im späten 20. Jahrhundert war der Pathologe Jack Kevorkian aus Michigan. Kevorkian trieb die Diskussion an neue Grenzen: Er deutete das Recht eines Menschen auf den eigenen Tod als offene Tür zur Tötung auf Verlangen. Am Ende seiner Laufbahn gab er an, mit medizinischen Geräten, die er konzipiert hatte, rund 130 Personen zum Sterben verholfen zu haben. Der Staat Michigan kassierte 1991 seine Approbation und 1999 wurde er wegen Mordes verurteilt. Im deutschsprachigen Raum war der streitbare Orthopädie- und Chirurgieprofessor Julius Hackethal der prominenteste Verfechter der aktiven Sterbehilfe. Trotz vieler Strafverfahren, u. a. wegen Tötung auf Verlangen, wurde er jedoch nie verurteilt.

Anfang des 21. Jahrhunderts wurde Sterbehilfe in den Niederlanden nach einer langjährigen Tradition der Duldung formal legalisiert. Man sah Ärzte in einer untragbaren Lage, wenn sie zwischen ihren beiden wichtigsten, manchmal aber unvereinbaren ärztlichen Pflichten wählen müssen: Leben verlängern und Leid lindern.

Doch sind die Ergebnisse positiv? In einem Onlineartikel der englischen Daily Mail vom 9. Dezember 2009 wurde berichtet: „Die legalisierte Euthanasie hat zu einem drastischen Rückgang der Pflegequalität für Todkranke in Holland geführt.“ Und weiter hieß es: „Selbst die Architektin des umstrittenen Gesetzes hat eingeräumt, angesichts seiner Auswirkungen auf die Versorgung alter Menschen sei es vielleicht ein Fehler gewesen, es durchzusetzen.“

Trotzdem berichtete Radio Netherlands Worldwide im Jahr 2010 von einer holländischen Interessengruppe namens „Nederlandse Vereniging voor een vrijwillig Levenseinde“ (Niederländische Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende), die „die Durchführbarkeit einer Klinik für Freitod und Euthanasie“ prüfe, um denen zu helfen, „die sich ernstlich wünschen, zu sterben, und sich an niemand sonst wenden können“. Eine solche Klinik würde Menschen dienen, die z. B. dement sind oder einfach „mit ihrem Leben abgeschlossen haben“. Die Organisation möchte, dass solche Kliniken standardmäßig in Krankenhäusern und Pflegeheimen eingerichtet werden.

In den Niederlanden scheint das Tabu Sterbehilfe nach einem Jahrzehnt der Erfahrungen und unterschiedlichen Bewertungen zu schwinden. Im Juli 2011 ergab eine Befragung von 800 Allgemeinärzten, dass 86,5 % prinzipiell bereit waren, sich an legaler Sterbehilfe zu beteiligen, und 68 % gaben an, dies in den letzten fünf Jahren auch getan zu haben. Rund 89 % fanden, Sterbehilfe habe in einer allgemeinärztlichen Praxis ihren Platz, doch sagten die meisten, dass sie bei dem, was sie als vernünftige Gründe akzeptierten, auch Grenzen setzten.

Derzeit ist aktive Euthanasie oder Sterbehilfe nur in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, der Schweiz und Kolumbien sowie den US-Bundesstaaten Montana, Oregon und Washington zulässig. Im Rest der Welt steigt jedoch der Druck, sie zu legalisieren.

ENTSCHEIDUNGEN ÜBER LEBEN UND TOD 

Die Suche nach dem guten Tod geht weiter, und Worte wie Mitgefühl, Würde, Trost und Erbarmen sind in aller Munde. Alle an der Debatte Beteiligten bekunden den dringenden Wunsch, Menschen quälende Schmerzen und unnötiges Leid zu ersparen.

Dass ein Patient entscheiden kann, außergewöhnliche medizinische Maßnahmen zur Lebensverlängerung nicht zu akzeptieren, wird weithin anerkannt, doch die entscheidende und höchst strittige Frage ist die der persönlichen Autonomie. Sollte Selbstbestimmung Grenzen haben? Oder ist es in Ordnung, zu sagen: „Es ist mein Leben, und ich mache damit, was ich für richtig halte“? Anders gesagt: Erstreckt sich die persönliche Freiheit des Einzelnen auf alle Entscheidungen, einschließlich der letzten, sein Leben selbstbestimmt zu beenden?

Der Zweck der Medizin ist nicht, all die Probleme der menschlichen Sterblichkeit zu beheben. […] Sie ist nicht zuständig für den Sinn von Leben und Tod – die tiefsten, ältesten Menschheitsfragen –, sondern nur für einige der körperlichen und seelischen Manifestationen jener Probleme.“  

Daniel Callahan, The Troubled Dream of Life: In Search of a Peaceful Death  

Diejenigen, die das verneinen, fürchten generell einen „Dammbruch“. Sie bezweifeln, dass angemessene Schutzbestimmungen durchgesetzt werden können, die verhindern, dass auf die Schwächsten subtil oder auch weniger subtil Druck ausgeübt wird, den Tod zu beschleunigen und dadurch sich selbst, aber auch ihr Umfeld von einer großen Last zu befreien. Es kann schwer sein, zu erkennen, ob die Entscheidung eines Sterbenden wirklich von ihm kommt oder von Menschen, die bestimmte Eigeninteressen haben. Werden finanzielle und wirtschaftliche Belange, persönliche Bequemlichkeit und andere zeitliche oder materielle Belastungen eine entscheidende Rolle spielen? Kritiker sehen in der steigenden Häufigkeit von Sterbehilfe in den Niederlanden einen Anlass zur Sorge.

Werden wir dazu verführt, zu glauben, die bewusste Beendigung von Leben sei der beste Weg, mit der Not des Todes fertig zu werden? Schließlich wurden doch in der Schmerzlinderung große Fortschritte gemacht. Viele Medikamente werden heute von Patienten selbst genommen, sodass sie nicht warten müssen, bis eine Krankenschwester kommt. Die Ausbreitung von Hospizen, die Behandlung von Depressionen und andere Formen der Palliativmedizin können die körperliche, geistige und emotionale Not des Sterbens lindern.

DAS GANZE BILD 

Der Bioethiker Daniel Callahan meint: „Man sollte die Möglichkeiten unmenschlichen Leidens nicht bagatellisieren.“ Er erklärt: „ Eine Gesellschaft sollte, soweit sie das kann, für die Linderung von Schmerz und Leid arbeiten; das ist ein simples moralisches Prinzip. Vonnöten ist aber ein komplexeres Prinzip: Eine Gesellschaft sollte dafür arbeiten, nur das Leid zu lindern, das nicht unvermeidbar zur Verwirklichung ihrer übrigen Werte und Bestrebungen gehört.“ Welche Werte werden in der Diskussion übersehen? Callahan zufolge „ist es unsere Fähigkeit, akzeptieren zu lernen, was das Leben uns vorsetzt, offen für das zu sein, was wir nicht steuern können, und dem Bösen mit den Tugenden Geduld und Standhaftigkeit zu begegnen, was den größten Wert unseres Lebens darstellt.“

Dies sind Belange des Geistes, nicht des Körpers. Der verstorbene M. Scott Peck beklagte in Denial of the Soul: Spiritual and Medical Perspectives on Euthanasia and Mortality (1997), dass die spirituellen Aspekte in der aktuellen Euthanasiediskussion zu kurz kommen. Als Arzt, Psychiater und Theologe vertrat Peck den Standpunkt, dass wir mehr sind als eine genetische Komposition, dass der Mensch eine spirituelle Seite hat und dass er auf einen Sinn hin geschaffen wurde: „Was ich behaupte, ist, dass in dem Bild ein Stück fehlt. Es fehlt ein großes Stück. Ich glaube, dieses fehlende, riesige Stück ist Gott.“

Es kann nicht vollkommen richtig sein, zu sagen, unsere höchste moralische Pflicht gegenüber anderen sei die Befreiung von Leiden. […] Wenn wir die Befreiung von Leiden selbst zum höchsten Ziel machen, besteht die große Gefahr, dass wir andere menschliche Ziele opfern oder bagatellisieren.“ 

Daniel Callahan, The Troubled Dream of Life: In Search of a Peaceful Death  

Peck räumte ein, dass das Menschenleben voller Probleme sei. Die Schwierigkeit, mit diesen umzugehen, nannte er „existenziellen Schmerz“, und er fand die Vorstellung seltsam, dass der Gott, der uns zu einem besonderen Zweck geschaffen hat, nicht auch einen Sinn für den existenziellen Schmerz in chronischer Krankheit, Alter und sogar Tod hätte: „Das Problem steht in Zusammenhang mit dem Sinn des Leidens für den Sinn des Lebens selbst […]: Was sagt mir mein Leiden über den Sinn oder die Bestimmung oder den Zweck der menschlichen Existenz, vor allem meiner eigenen?“ Während der Körper im Sterben immer schwächer wird, werden wir mit dem konfrontiert, was eigentlich das Wichtigste ist. In der Erfahrung der Schwäche suchen und finden wir auch eine neue Quelle der Kraft (2. Korinther 12, 7-10). Hat Leid einen Sinn? Gott ließ sogar seinen Sohn durch Leid lernen (Hebräer 5, 7-8; 4, 14-16; s. auch „Warum all das Leid“). Unsere Bereitschaft, demütig zu sein und uns nur noch auf Gott zu verlassen, kann im Prozess des Sterbens tatsächlich ihren Höhepunkt erreichen (2. Korinther 4, 16-18).

Die Bibel informiert diejenigen, die sich für Gottes Sicht interessieren, und sie sagt uns in 2. Mose 20, 13 und 5. Mose 5, 17, dass Mord Sünde ist – und das ist einschließlich „Selbst-Mord“ und Sterbehilfe zu verstehen. Gott will, dass wir das Leben wählen (5. Mose 30, 19-20). Wer seine Zukunft in Gottes Hände gelegt hat, akzeptiert bereitwillig, dass seine persönliche Selbstbestimmung Grenzen hat und dass Gott ein eigenes Interesse daran hat, was aus einem menschlichen Leben wird (1. Korinther 6, 19-20; Kolosser 3, 1-4).

Ehe wir uns dem „guten“ oder „leichten“ Tod verschreiben, könnten wir doch mit der Führung Gottes, der den Tod als Feind offenbart (1. Korinther 15, 26) und letztlich vernichten wird, gründlich nach dem Sinn des Lebens und des Todes forschen.