Die Grenzen der Wissenschaft und das unvollständige Puzzle

Durch naturwissenschaftliche Forschung haben wir viel über die physische Welt erfahren. Warum aber reicht Wissenschaft nicht aus, um unsere wichtigsten Fragen zu beantworten und das Bild zu vervollständigen?

Die Realität ist wie ein großes Puzzle, das aus vielen Teilen besteht. Raum, Zeit, Raumzeit, Planeten, Sterne, Galaxien, Ameisen und Atome – das Universum selbst und alles darin, auch jede und jeder von uns, sind in diesem Puzzle enthalten. Alles, was wir wissen – und glauben, wissen zu können –, von den Bakterien auf einem Sandkorn bis zur Atmosphäre eines Jahrmillionen entfernten Exoplaneten, ist Bestandteil des Bilds. Das sind die Details, die Einzelteile, aus denen dieses Meisterwerk besteht.

Das Problem für uns ist, dass wir den Puzzle-Karton mit dem fertigen Bild auf dem Deckel nicht haben. Wir wissen nicht, wie das Endergebnis aussehen soll. Wie passt alles zusammen? Unser Verständnis der Realität ist in Bewegung. Wir lernen, lösen, korrigieren und fragen, während wir weiterkommen.

Wir sind sinnsuchende Wesen“, schreibt der Physiker Marcelo Gleiser, „und Wissenschaft ist ein Ergebnis unseres nie endenden Drangs, einen Sinn im Dasein zu finden.“ Der Prozess wissenschaftlichen Forschens liefert Methoden, um zu erkunden, zu entdecken, zu kategorisieren und manches zusammenzufügen.

Aber Wissenschaft ist nicht unsere einzige Wissensquelle. Wir müssen auch die Belege berücksichtigen, die uns die heilige Schrift gibt. Schließlich scheint die Aussage „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ den Rahmen des Puzzles selbst vorzugeben. Ob man davon ausgeht, dass das wahr ist – dass, einfach ausgedrückt, im Innersten der Realität Gott ist –, ist natürlich Glaubenssache.

Auch die Wissenschaft hat ihre eigenen Glaubensbedingungen, aber das ist ein Glaube, der den Zugang auf einige Aspekte des Puzzles beschränkt. Je nach unseren eigenen Überzeugungen tun wir vielleicht eines zugunsten eines anderen ab, aber sowohl Wissenschaft als auch Glaube beanspruchen, Klarheit in das Mysterium des Daseins zu bringen, und beide bieten ihre jeweils eigene Herangehens- und Sichtweise.

Obwohl dieses metaphorische Puzzle alle Dinge umfasst und chaotisch und zusammenhanglos wirken kann, ist es am Ende ein geeintes Ganzes. Es gibt nur eine Lösung. Man könnte sie als letztgültige Wahrheit bezeichnen. Wenn wir das Bild vervollständigen könnten, kämen Antworten auf unsere tiefsten Fragen ans Licht – warum gibt es etwas und nicht nichts? Warum existiere ich? Hat diese menschliche Erfahrung einen Zweck? Dann wüssten wir, was ist und warum es ist. Der verstorbene Kosmologe Stephen Hawking sagte einmal (ohne es ernst zu meinen, denn sein Glaube war nicht religiös), das ganze Bild zu verstehen, hieße, „den Geist Gottes zu kennen“.

Ein geeintes Bild

In Navigating Faith and Science schreibt der Philosophieprofessor Joseph Vukov von der Loyola University in Chicago über dieses Ziel, die Einheit des Verstehens. Er merkt auch an, dass es über das bisher Festgestellte unterschiedliche Ansichten gibt. Vukov erkennt an, dass Naturwissenschaft und Religion über die Einzelheiten bestimmter Puzzleteile wohl nicht immer einig sind – zum Beispiel Belege für den Urknall, den Ursprung des Lebens oder das Alter der Erde. „Doch soweit beide Bestrebungen der Wahrheitsfindung gelten“, schreibt er, „kann es keinen tiefen Konflikt zwischen ihnen geben. Wenn es Unterschiede gibt, müssen sie oberflächlich sein und eine tiefere Harmonie verdunkeln.“

In den 1920er-Jahren stellte der US-Astronom Edwin Hubble (1889–1953) mithilfe der Teleskope auf dem Mount Wilson oberhalb von Pasadena in Kalifornien fest, dass die Milchstraße nur eine von vielen Galaxien ist (heute wissen wir, dass es Milliarden, vielleicht Billionen gibt.) Später lieferte er Daten, die entscheidend für eine Stützung der Hypothese waren, dass sich das Universum ausdehnt. Noch heute liefert das nach Hubble benannte Teleskop neben dem James-Webb-Weltraumteleskop neue Datenpunkte bei der Erforschung der Mysterien des Kosmos – als schüttele man weitere Puzzleteile aus dem Karton.

Hubble beschrieb einmal, wie sich ein Einblick in das, was Vukov „eine tiefere Harmonie“ nannte, davon unterscheidet, einfach Sternfelder zu betrachten und Berechnungen anzustellen. In The Nature of Science, einer kleinen Sammlung von Hubbles Schriften und Reden, sprach er von „ernstlicher Suche“ nach einer „ewigen, letztgültigen Wahrheit“, die über eine temporäre Sicht des Universums hinausgeht.

Doch, so fuhr er fort, kann sie nicht allein mit dem Tauchen nach Daten oder dem Theoretisieren entdeckt werden. Sie ist etwas, das man mehr spürt, als es zu sehen, mehr intuitiv als numerisch erfasst: „Manchmal weiß der Mensch durch die seltsam überzeugende Erfahrung mystischer Erkenntnis über jeden Schatten eines Zweifels hinaus, dass er in Berührung mit einer Realität gekommen ist, die hinter bloßen Phänomenen liegt.“

Das Problem für den Wissenschaftler ist, wie Hubble erklärte, dass diese Erfahrung persönlich ist und sich somit der statistischen Analyse entzieht. „Er selbst ist vollkommen überzeugt, aber er kann die Gewissheit nicht vermitteln. Es ist eine private Offenbarung. Er kann recht haben, aber wenn wir seine Ekstase nicht auch erleben, können wir es nicht wissen.“

Es gibt eine Einheit in der Wissenschaft, die alle ihre verschiedenen Fachbereiche miteinander verbindet. Menschen versuchen, das Universum zu verstehen, und sie folgen Spuren, die ihre Neugier erregen, wohin die Spuren auch führen mögen.“

Edwin Hubble, The Nature of Science

Das Gefühl, dass es etwas gibt, das man nicht mit den Augen sieht, ist eine verbreitete Erfahrung, die viele Menschen teilen. Diese „mystische Erkenntnis“ ist subjektiv – wie Hubble sie beschrieb, eine persönliche Offenbarung. Obwohl sie (im Gegensatz zu etwa einer gemessenen Anzahl von Sternen in einem Abschnitt des Himmels) nicht in empirischer, objektiver und daher vollkommen verifizierbarer Form quantifizierbar ist, ist unsere Erfahrung real, ein Teil der Realität des Menschseins, der auf eine größere Realität hindeutet. Wie Salomo sagte, hat Gott uns ein Gespür gegeben, das über das rein Materielle des Daseins hinausgeht: „Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende“ (Prediger 3, 11).

Auch wenn wir inmitten des Unerforschbaren existieren, meint Vukov, können die Mittel der Wissenschaft und des Glaubens zusammen uns voranbringen: „Wahrheit eint; sie trennt nicht. Kurz, soweit Wissenschaft und Religion beide Wahrheit zum Ziel haben, können sie nicht fundamental gegensätzlich sein.“ Statt miteinander in Konflikt zu stehen, nähern sich beide von unterschiedlichen Ausgangspunkten mit Fragen nach dem Was, Wo, Wie und Warum – als arbeite man von gegenüberliegenden Seiten des Tischs an einem Puzzle.

Aus der Gottesperspektive sehen

In der Theologie, so Vukov weiter, wird dies in Form der sogenannten „augustinischen These“ ausgedrückt, die besagt: „Alle Wahrheit ist Gottes Wahrheit.“ Unabhängig von der jeweiligen Perspektive – ob theistisch, atheistisch oder agnostisch – müssen wir alle anerkennen, dass es eine Realität gibt, dass wir in ihr existieren und dass wir alle uns möglichen Mittel nutzen wollen, um unsere Erkenntnis zu erweitern. Dass wir fähig sind, solche Mittel wie Physik und Mathematik zu entwickeln, die zusammen physikalische Wahrheiten über die Welt offenbaren, ist in sich eine Art Wunder, wie der Physiker Eugene Wigner einst schrieb: „Die enorme Nützlichkeit der Mathematik in den Naturwissenschaften ist etwas, das an das Mysterienhafte grenzt, und […] es gibt keine rationale Erklärung dafür.“

Das ist selbst ein Rätsel: Wie kann eine Disziplin, die entwickelt wurde, um Äpfel zu zählen oder Land zu vermessen, auch in der Lage sein, Quantenmechanik oder Relativität zu beschreiben? Einstein hat es so ausgedrückt: „Das ewige Mysterium der Welt ist ihre Verstehbarkeit.“ Ist die Effektivität der Mathematik also ein Hinweis auf eine tiefere metaphysische oder theologische Realität?

Der Sozialphilosoph Steve Fuller sieht es jedenfalls so. Er ist überzeugt, dass unser Bewusstsein mit dem Kosmos in Kontakt treten kann, weil wir nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Frühere Forscher wie Kopernikus, Galilei und Newton setzten ihre Anstrengungen mit Zuversicht fort, weil sie glaubten, wie Fuller im Gespräch mit Vision sagte, „dass es einen Gott gab, der eine verstehbare Ordnung geschaffen hatte, die auf Entdeckung wartete. Für diese Leute lieferte die Bibel Anhaltspunkte dafür, ihr Denken auf das psychische Profil des Wissenschaftlers hin zu orientieren“.

Wissenschaft kann nur feststellen, was ist, aber nicht was sein sollte, und außerhalb ihres Bereichs bleiben Werturteile aller Art notwendig.“

Albert Einstein (1879–1955): „Albert Einstein Solves the Equation“

Die Vorstellung, dass der Zugang zu Gottes Schöpfung und Plan über eine spirituell inspirierte intellektuelle Fähigkeit kommt, ist sicherlich faszinierend. Dies meinte offenbar der Apostel Paulus mit der folgenden Frage: „Welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als allein der Geist des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch niemand, was in Gott ist, als allein der Geist Gottes“ (1. Korinther 2, 11). Die Ansicht, dass das menschliche Bewusstsein eine nicht materielle Komponente hat und dass durch diese spirituelle Verbindung eine Beziehung zwischen den Menschen und Gott besteht, steht natürlich in Einklang mit der Bibel. Im konzeptionellen Rahmen der modernen Wissenschaft ist dieses Profil des Menschen und die Art Übersicht, die es ermöglicht, allerdings nicht mehr enthalten.

Wissenschaftsglaube

Die wissenschaftliche Methode ist nicht nur eine Abfolge von Schritten, wie wir vielleicht in der Schule gelernt haben. Man kann sich Naturwissenschaft eher als zwei breite Prozesse vorstellen. Als Erstes sammelt man Fakten durch immer genauere Beobachtungen. Mit unzähligen Mitteln wird gesammelt und klassifiziert, organisiert und analysiert. Als Zweites versucht man, Muster und Themen zu finden, entwickelt Theorien und Hypothesen zu den Ursachen hinter den beobachteten Fakten.

In der Naturwissenschaft wie in der Philosophie geht es darum, Beobachtungen in Kontext zu bringen und zu erklären. Eine anhand dessen entwickelte Theorie liefert einen Erzählstrang, der sie in einer logischen Form miteinander verbindet. Sowohl Beobachtungen als auch Erklärungen können neutral oder auch voreingenommen sein. Oft wird behauptet, Wissenschaft sei neutral, aber da sie ein menschliches Konstrukt ist, wird sie oft im Sinne vorgefasster Vorstellungen gewichtet. Theorien sind äußerst wichtig, aber sie können uns dazu verleiten, anstelle dessen, was wirklich ist, das zu sehen, was wir sehen wollen.

Solange wir mit unvollkommenem menschlichem Intellekt an die Welt herangehen, wird unser Wissen partiell und unvollständig sein, selbst wenn die Wahrheit selbst vollständig und geeint ist.“

Joseph Vukov, Navigating Faith and Science

Für die meisten von uns – auch in der Wissenschaft – ist die Überzeugung, dass Gott die erste Ursache aller Dinge ist, noch immer glaubhaft, doch heute wird die Art, Wissenschaft zu betreiben, vom sogenannten Positivismus beherrscht, der Neigung oder Tendenz zu einer natürlichen statt einer übernatürlichen Erklärung. Das ist mehr als nur eine leichte Voreingenommenheit. Der Positivismus ist eine absolut physische Herangehensweise an Wissen – eine Methode, die für das, was über die Natur beobachtet wird, ausschließlich natürliche Ursachen sucht und akzeptieren kann. Neal C. Gillespie, emeritierter Geschichtsprofessor der Georgia State University, definiert die Metaphysik des Positivismus so: „der Glaube, dass alle Ereignisse Bestandteile einer natürlichen, sogar materiellen Kausalkette sind“.

Laut Gillespie geht der historische Umschwung von dem kreationistischen Ansatz, den Fuller beschreibt, zu diesem positivistischen Ansatz auf das späte 19. Jahrhundert zurück. Der Wechsel beschränkte wissenschaftliches Forschen auf sekundäre statt erster Ursachen. Eine sekundäre Ursache kann als eine Theorie verstanden werden, die eine Gruppe von Beobachtungen vereint – eine Regel oder Erklärung, die beschreibt, warum etwas geschieht, und künftige Erkenntnisse vorhersagt. Beispielsweise beschreibt die Gravitationstheorie die Geschwindigkeit, mit der Gegenstände fallen, während die Zelltheorie vorhersagt, dass alles, was lebt, aus Zellen bestehen wird. Man konnte sich entscheiden, zu glauben, dass solche Muster von Gott vorgegeben sind, oder auch nicht. In beiden Fällen bedeutete naturwissenschaftliches Arbeiten, Gott bei den Prozessen des Beobachtens und Erklärens außen vor zu lassen.

Die Motivation hierfür war nicht eigentlich Atheismus. Man fürchtete, ein Festhalten an der Vorstellung von Gottes Eingreifen oder Wundern, die gegen die Grundregeln der beobachteten Welt verstießen, würde den wissenschaftlichen Prozess entgleisen lassen. Phänomene auf unnatürliche Quellen zurückzuführen, wäre, so Gillespie, „eine ständige Gefährdung wissenschaftlicher Verallgemeinerung und Vorhersage. Eine solche Welt würde der wissenschaftlichen Untersuchung trotzen. Das Übernatürliche, das Immaterielle, eine andere Ordnung des Seins, die die Natur durchdränge, aber nicht Teil der Natur wäre, machte Wissenschaft (wie die Positivisten Wissenschaft sahen) unmöglich.“

Man muss zugeben, dass dies in dem Sinne vernünftig scheint, dass es schwierig wäre, die Welt durch ihre allgemeinen Regeln zu verstehen, wenn Gott diese einfach nach Belieben ein- und ausschalten würde. Die Behauptung, die Gesetze, die das Universum zusammenhalten, seien tatsächlich Gottes Gesetze, Gottes Erfindung und Erweise seines Handelns in der Schöpfung (zum Beispiel Kolosser 1, 16–17 und Psalm 90), schreckte die Gründer des naturwissenschaftlichen Zeitalters offensichtlich nicht ab. Doch die moderne Naturwissenschaft hat sich einem anderen Glauben zugewandt, einem Glauben nicht an die Verlässlichkeit Gottes, sondern an die Sicherheit physikalischer Gesetze.

Der US-amerikanische Ingenieur, Erfinder und Entwickler des Wissenschaftsmanagements Vannevar Bush (1890–1974) machte in einem Essay von 1955 auf diese Unterscheidung aufmerksam. Für Bush war klar, dass der im positiven Naturalismus oder Materialismus eingebettete Glaube der Naturwissenschaft die Naturgesetze betrifft und nicht, ob es Gott gibt oder nicht. „Denn der Naturwissenschaftler lebt ebenso sehr durch den Glauben wie der Mann von tiefer religiöser Überzeugung. Er handelt aufgrund von Glauben, weil er auf keine andere Weise handeln kann. Seine Abhängigkeit vom Prinzip der Kausalität ist ein Akt des Glaubens an ein Prinzip, das unbewiesen und unbeweisbar ist. Dennoch baut er alle seine Schlussfolgerungen über die Natur auf ihm auf.“

Weder Wissenschaft noch Glaube müssen einander widersprechen; tatsächlich können sie, wenn man das Wesen beider zu verstehen weiß, einander im Leben eines Menschen bereichern.“

Jerome Groopman, zitiert in „Does Science Make Belief in God Obsolete? Thirteen Views on the Question“

Das begrenzte Spielfeld der Naturwissenschaft

Die Grenzen des Felds, das Naturwissenschaft untersucht, wurden auf die physische, materielle Welt allein verengt. Auf dem Spielfeld der Naturwissenschaft hatte Gott nichts zu suchen. Wie ein Wissenschaftstheoretiker es ausdrückte, „bedeutet Empiriker zu sein, den Glauben an alles, was über die tatsächlichen, beobachtbaren Phänomene hinausgeht, zurückzuhalten und keine objektive Modalität [oder nicht natürlichen Effekte] in der Natur anzuerkennen“. Man bekommt, was man sieht.

Kann die Schöpfung dann ohne einen Schöpfer existieren? Die Naturwissenschaft kann nicht anders, als Ja zu sagen, denn für sie spielt Gott keine Rolle. Wissenschaftler mit einer atheistischen Weltsicht bedienen sich oft dieser Tatsache, kombiniert mit ihrem Glauben an den Positivismus, um eindeutig mit Ja zu antworten. Sie können sogar so weit gehen, zu behaupten: „Die Wissenschaft sagt“, dass Gott nicht existiert. Der metaphysische Positivismus erfordert diese Schlussfolgerung allerdings nicht. Was er aber bedeutet, ist, dass naturwissenschaftliche Forschung und Theoriebildung so vorgehen werden, als existiere er nicht. Daran haben sich Naturwissenschaftler zu halten, selbst wenn sie auch Theisten sind.

Naturwissenschaft ist kompetent, das materielle Universum hinsichtlich physikalischer, chemischer und biologischer Eigenschaften zu analysieren, und das ist alles“, sagte der Molekularbiologe Kenneth Miller im Gespräch mit Vision. Miller ist Professor emeritus für Molekularbiologie, Zellbiologie und Biochemie der Brown University in Rhode Island und hat in den letzten 25 Jahren mehrere Bücher geschrieben, in denen er seine religiösen Überzeugungen im Zusammenhang mit seiner Arbeit als Naturwissenschaftler darlegt.

Als Biologe habe ich einen großen Teil meiner Laufbahn damit zugebracht, die Struktur und Funktion biologischer Membranen zu analysieren“, erzählte Miller weiter. „Aber wenn ich die Präsentation über meine Forschung vor der American Society of Cell Biology mit der Aussage ,Durch meine Laborarbeit über die fotosynthetische Membran habe ich den Sinn des Lebens entdeckt‘ einleiten würde, würde man mich bestimmt mit Gelächter aus dem Saal treiben. Betrachtungen über Sinn, Wert und Zweck sind einfach außerhalb des Bereichs der Naturwissenschaft, und ich kann garantieren, dass meine Kollegen bei der Tagung einander zuflüstern würden: ,Miller hat sie nicht mehr alle!‘ Und sie hätten recht.“

Sie hätten recht, denn von Wissenschaftlern wird erwartet, dass sie innerhalb ihres begrenzten Sichtfelds arbeiten. Ebenso würde ein atheistischer Wissenschaftler diese Grenze überschreiten, wenn er seinen Wissenschaftsglauben einsetzen würde, um die spirituellen Überzeugungen anderer zu attackieren. Wenn Wissenschaftler darauf bestehen, dass die einzige Antwort auf das Rätsel des Daseins eine säkulare ist, nennt Miller das einen „Mangel an Demut aufseiten vieler Wissenschaftler im Hinblick auf die sehr klaren Grenzen der Wissenschaft“.

Wenn zwischen Wissenschaft und Religion ein Konflikt besteht, erwächst er aus dem Irrtum, jede Seite habe die komplette Anleitung, um das Puzzle fertigzustellen, und daher keine Verwendung für die andere. Die Vorstellung, unsere eigene Perspektive gebe uns eine überlegene Sicht für jedes fehlende Stück und seine richtige Stelle, ist Hybris. In diesem Konflikt artet Wissenschaft in Scientismus (Wissenschaftsgläubigkeit) und Religion in Fundamentalismus aus. Dann stehen beide Seiten gegeneinander: Glaube gegen Glaube.

Was an Scientismus and Fundamentalismus falsch ist

Dies ist die Stelle, an der sowohl Scientismus als auch Fundamentalismus versagen. Indem sie um jeden Preis darauf bestehen, recht zu haben, erheben sie die Perspektive entweder der Wissenschaft oder der Religion in engelgleiche Höhen. […] Sowohl Wissenschaft als auch Religion haben das Ziel, die Wahrheit zu erfassen. Und oberflächlich scheinen Vertreter von Scientismus and Fundamentalismus Vorkämpfer von Wissenschaft bzw. Religion zu sein. Aber dadurch, dass sie eine schiefe Perspektive und eine verdrehte Einstellung haben, untergraben sie ebendie Ziele, für die sie sich angeblich einsetzen. […]

Wer in scientistisches oder fundamentalistisches Denken verfällt, überschätzt die eigenen intellektuellen Meriten und Fähigkeiten, bläst sich in seinem intellektuellen Selbstwertgefühl auf und wird mehr daran interessiert, das eigene Ego zu nähren, als an die Wahrheit heranzukommen. Das hält Vertreter von sowohl Scientismus als auch Fundamentalismus von der Wahrheit fern und untergräbt beider Ziele in gleicher Weise. Für Fundamentalisten ist intellektuelle Arroganz besonders unheilvoll. Als Christ intellektuell arrogant zu sein, ist schließlich ein Versuch, statt der menschlichen Perspektive eine göttliche zu erlangen und somit Adams und Evas Motivation bei ihrem Fall wieder aufzunehmen: ,Ihr werdet sein wie Gott‘ (1. Mose 3, 5).

Aber es gibt einen Silberstreifen am Horizont. Wenn man bei Fundamentalismus wie Scientismus intellektuelle Arroganz diagnostiziert hat, wird das Heilmittel für beides klar: intellektuelle Demut. […] In diesem Kontext besteht intellektuelle Demut in der Erkenntnis, dass der Konflikt, den wir zwischen Wissenschaft und Religion erleben, weniger mit einem tiefen Konflikt zwischen beiden zu tun hat als mit unserer menschlichen Weise, an sie heranzugehen. Eine intellektuell demütige Person erkennt an, dass wir nur einen Teil des Bilds erfassen können, nie das ganze, und dass der Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion eine Folge unserer begrenzten menschlichen Sicht ist.“

Joseph Vukov, Navigating Faith and Science

Auch Richard Dawkins, der sich mit am deutlichsten unter den heutigen Naturwissenschaftlern gegen Gott und gegen Religion aussprach, blockierte sein Denken nicht komplett. Er sei „offen für die wunderbarste Vielfalt künftiger Möglichkeiten“, sagte er in einer Diskussion mit Francis Collins, die in dem Magazin Time veröffentlicht wurde. Collins, der in den 1990er-Jahren das Humangenomprojekt geleitet und 2021 die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Corona beaufsichtigt hat, ist evangelikaler Christ.

Wenn es einen Gott gibt, wird es bei Weitem größer und bei Weitem unverständlicher als alles sein, was irgendein Theologe von irgendeiner Religion jemals vorgebracht hat.“

Richard Dawkins: „God vs. Science,“ Time (5. November 2006)

Unseren Glauben in eine Linie bringen

So, wie Dawkins verstand, dass es noch mehr geben kann, warnte auch Vannevar Bush davor, zu ausschließlich an Wissenschaft und Scientismus zu glauben. Bush kommentierte dies 1965, in einer Blütezeit der Naturwissenschaft, in seinem Essay „Science Pauses“ in Fortune. Das Stereotyp des zerstreuten Intelligenzlers im weißen Kittel galt nicht mehr: Der Naturwissenschaftler wurde nun als moderner Superman gesehen. Er konnte, schrieb Bush, fast alles tun, von der Nutzbarmachung der Atomenergie bis hin zur Landung eines Menschen auf dem Mond: „Holt einfach genug Tausende von Wissenschaftlern zusammen, pumpt das Geld rein, und der Mann kommt da hin. Vielleicht kommt er sogar zurück.“

Obgleich die Mondlandung letztlich ein spektakulärer Erfolg war, mahnte Bush, man solle darauf achten, den technologischen Erfolg positiver Wissenschaft nicht als Beweis der Allwissenheit zu verstehen. „Heute ist viel die Rede von der Macht der Wissenschaft, und das mit Recht. Sie ist großartig. Aber über die inhärenten Grenzen der Wissenschaft wird wenig geredet.“

In so einem Mondlicht gibt es ein falsches Bild von Wissenschaftlern und dem Wesen der Wissenschaft“, fuhr Bush fort. Ein verbreiteter Fehler sei die Vorstellung, durch Technologie sei alles möglich. Doch er hob ein noch tieferes Missverständnis hervor – dass Naturwissenschaft alles offenbaren kann, was man über das Universum oder das Dasein des Menschen wissen muss: „Dies ist die falsche Vorstellung, dass Wissenschaftler den kompletten Bestand aller Fakten und Beziehungen über das Universum feststellen kann, alle sauber bewiesen […]“ (Hervorhebung vom Autor). Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist per definitionem niemals komplett oder bewiesen. Der wissenschaftliche Prozess kann nur eine beste Einschätzung davon geben, was ist und wie es so geworden ist. Die Schlussfolgerungen sind immer bedingt und unterliegen der Korrektur anhand neu gesammelter Daten. Bush warnte vor der faschen Vorstellung, „dass Menschen aufgrund dieser festen Basis ihre persönliche Philosophie, ihre persönliche Religion zweifelsfrei und fehlerfrei sicher etablieren können“.

Das bedeutet, dass weder die Wissenschaftler noch wir anderen an dem Materialismus der Wissenschaft festhalten sollten, als liefere er die einzigen Antworten zu den Rätseln des Lebens. Dies impliziert nicht nur, dass die Tür für Gott weiter offen steht – dass es „Lücken“ gibt, in die man Gott quetschen kann. Verstehen hat nach wie vor eine spirituelle Dimension, die nie wirklich weg war. Es ist vernünftig, zu sagen: „Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, sodass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist“ (Hebräer 11, 3). Andere Bibelübersetzungen lauten „dass die Welt durch Gottes Wort entstand“ (Neue evangelistische Übersetzung) oder „so ist das Sichtbare nicht aus dem geworden, was in Erscheinung tritt“ (Zürcher Bibel). Gott hat bestimmt, was ist: Er hat das Bild auf dem Karton des Puzzles und auch die Realität geschaffen.

In dem Konflikt zwischen Scientismus (denen, die glauben, dass Wissenschaft alle Antworten und Zugang zu allen Teilen unseres metaphorischen Lebens-Puzzles hat) und Fundamentalismus (denen, die glauben, dass ihre Auslegung der heiligen Schrift absolut ist, dass sie die Nuance jedes Teils kennen, ob sichtbar oder unsichtbar) Öl ins Feuer zu gießen, ist für niemanden von Nutzen.

Erlauben wir uns bewusst, blind für manche Aspekte der Realität zu sein? Das tun wir, wenn wir den Fehler machen, zu glauben, dass Wissenschaft alle Antworten hat. Ist das Puzzle lösbar? Natürlich, aber nicht ohne die Demut, zu erkennen, dass wir Erkenntnisse von Gott brauchen, um die entscheidenden Teile zu offenbaren.

In einer künftigen Zeit wird die Harmonie, die wir nicht erfassen können, sichtbar werden und es wird Einigkeit geben. Die Flammen des Konflikts werden gelöscht werden. Das Unlösbare wird gelöst sein, das Bild wird deutlich werden, alle Teile werden passen.