Segnungen, Flüche und Wiederherstellung – ein prophetisches Muster
Die „großen“ und „kleinen“ Propheten, die vor dem nahenden Untergang des alten Israel warnten, schöpften oft aus älteren prophetischen Aussagen. Ein Beispiel dafür ist das Buch Hosea.
Der langfristige Erfolg der Kinder Israel hing von ihrer Bereitschaft ab, Gottes Bedingungen zu erfüllen. Würden sie „in seinen Satzungen wandeln“, seine Gebote „halten und tun“, würden sie der Stimme ihres Gottes „gehorsam sein“ und „alle seine Gebote, die ich dir heute gebiete“ befolgen, so wollte er sie segnen. Dann wollte er mit Wohlwollen auf sie schauen, seinen Bund mit ihnen bestätigen und sie „zum höchsten über alle Völker auf Erden machen“ (siehe 3. Mose 26, 3–13; 5. Mose 28, 1–14). Wenn sie aber nicht gehorchten, dann sollte eine Vielzahl von Flüchen über sie kommen, einer schlimmer als der andere, und sie überwältigen (3. Mose 26, 14–39; 5. Mose 28, 15–68).
Wie wir aus ihrer Geschichte wissen, blieben die Israeliten Gott die treue Gefolgschaft schuldig, insbesondere nachdem das Königreich Israel im 10. Jahrhundert v. Chr. auseinandergebrochen war. Deshalb wurden sie schließlich aus ihrem Land verschleppt und lebten getrennt voneinander im Exil in Assyrien und Babylon. So wurde eine Serie immer schlimmerer Flüche zum Modell für Israels Schicksal.
Die großen und kleinen Propheten, die vor Israels nahendem Untergang warnten, knüpften oft an diese älteren prophetische Aussagen an. Und sie sprachen auch von verheißenen Segnungen, mit denen Israel wiederhergestellt werden sollte.
Ein Beispiel dafür ist das Buch Hosea. Hosea schrieb im 8. Jahrhundert v. Chr. hauptsächlich an die nördlichen Stämme, als Israel oder Ephraim bezeichnet, und seine Botschaft betrifft die nahende Verschleppung. Sein Wirken umfasst die Regierungszeiten von mehr Königen als das jedes anderen Propheten, beginnend mit Jerobeam II. in Samaria. Er prophezeite über die Flüche, die über die zehn Stämme kommen sollten: Etwa ein Viertel seines Buches betrifft 20 von den 27 im Pentateuch erwähnten Flüchen.
„Die Botschaft des Buches Hosea zu verstehen, hängt davon ab, den Bund vom Sinai zu verstehen. […] Hoseas Auftrag war einfach, zu warnen, dass Jahwe gedachte, die Vertragsbedingungen seines Bundes durchzusetzen.“
Jerobeam I. hatte Israel rund 200 Jahre zuvor zum Götzenkult geführt, indem er in Bethel und Dan goldene Kälber aufstellen ließ, seine eigene Form von Religion schuf und den Tempel in Jerusalem mied. Von diesen Taten hatte sich das Volk niemals wirklich erholt.
Zur Zeit Hoseas hatte es sich durch Selbstherrlichkeit weit von Gott entfernt. Der Prophet agierte seine Botschaft aus: Er nahm eine Prostituierte zur Frau – ein trauriges Bild dafür, was Israel für seinen Gott geworden war. Sie hatten drei Kinder, deren Namen ausdrücken, dass Gott Israel verworfen hatte. Das erste war ein Junge, Jesreel; sein Name bedeutet militärische Niederlage: „[Ich will] den Bogen Israels zerbrechen in der Ebene Jesreel“ im Norden des Landes (Hosea 1, 5). Das zweite war ein Mädchen, Lo-Ruhama – „Kein Erbarmen“: Gott wird Israel nicht länger verschonen. Das dritte Kind war Lo-Ammi – „Nicht mein Volk“: Gottes symbolische Ehe mit Israel wird geschieden (Vers 9). In dieser Form kündigte Gott an, dass er dem Königreich des Hauses Israel ein Ende setzen wollte – einem Volk, mit dem er kein Erbarmen mehr haben wollte und dessen Gott und spiritueller Ehemann er nicht mehr sein wollte. Unter vielen Rückschlägen sollten die Israeliten von Angst, Krankheit, Hungersnot, Krieg, Tod und Verschleppung heimgesucht werden.
Die Sequenz von Flüchen in 3. Mose 26 eskaliert über fünf Stufen (siehe Verse 18, 21, 24 und 28). Sie beginnt mit dem Entsetzen angesichts von plötzlicher Krankheit, Hass und Angst (Verse 16–17). 5. Mose 28 folgt zwar einem anderen Schema, doch kommen viele Elemente auch hier vor. Parallel zu der Passage über Entsetzen und Angst in 3. Mose heißt es hier: „Dein Leben wird immerdar in Gefahr schweben; Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Morgens wirst du sagen: Ach dass es Abend wäre!, und abends wirst du sagen: Ach dass es Morgen wäre!, vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird, und vor dem, was du mit deinen Augen sehen wirst“ (5. Mose 28, 66–67).
Auch der Fluch, von Feinden besiegt zu werden, ist in beiden Büchern zu finden (vgl. 3. Mose 26, 17 mit 5. Mose 28, 25). Der Fluch der Dürre wird mit den Bildern harter Metalle beschrieben: „[Ich] will euren Himmel wie Eisen und eure Erde wie Erz machen“ (3. Mose 26, 19); „Der Himmel, der über deinem Haupt ist, wird ehern werden und die Erde unter dir eisern.“ (5. Mose 28, 23). Die Landwirtschaft wird keinen Ertrag mehr bringen: „Und eure Mühe und Arbeit soll verloren sein, dass euer Land sein Gewächs nicht gebe und die Bäume im Lande ihre Früchte nicht bringen“ (3. Mose 26, 20); „Verflucht wird sein dein Korb und dein Backtrog. Verflucht wird sein die Frucht deines Leibes, der Ertrag deines Ackers, das Jungvieh deiner Rinder und Schafe“ (5. Mose 28, 17–18).
Auf der fünften und damit letzten Stufe gipfelt die Eskalation der Bestrafung mit dem Exil: „Euch aber will ich unter die Völker zerstreuen und mit gezücktem Schwert hinter euch her sein, dass euer Land soll wüst sein und eure Städte zerstört“ (3. Mose 26, 33); „Denn der HERR wird dich zerstreuen unter alle Völker von einem Ende der Erde bis ans andere, und du wirst dort andern Göttern dienen, die du nicht kennst noch deine Väter: Holz und Steinen“ (5. Mose 28, 64).
Hosea schreibt in seiner Zeit von der nahenden Erfüllung vieler dieser Flüche. Wie 5. Mose eigens erwähnt, dass Israel seinen König und die wahre Religion verlieren wird – „Der HERR wird dich und deinen König, den du über dich gesetzt hast, unter ein Volk treiben, das du nicht kennst noch deine Väter, und du wirst dort andern Göttern dienen: Holz und Steinen“ (Vers 36) –, so prophezeit Hosea: „Denn lange Zeit werden die Israeliten ohne König und ohne Obere bleiben, ohne Opfer, ohne Steinmal, ohne Efod und ohne Hausgott“ (Hosea 3, 4).
Die Nichtbeachtung der eskalierenden Flüche, die die Israeliten zur Umkehr zu Gott hätten bringen sollen, kann nur in Verschleppung und Exil enden: „Sie sollen nicht bleiben im Lande des HERRN; sondern Ephraim muss [symbolisch] wieder nach Ägypten und muss in Assyrien Unreines essen“ (Hosea 9, 3). Die Abkehr von Gottes Gesetz wird sie in die Hände eines rücksichtslosen Gewaltherrschers führen. Gott hatte ihnen verheißen, „dass sie nicht wieder nach Ägyptenland zurückkehren sollten. Nun aber muss Assur ihr König sein; denn sie wollen sich nicht bekehren. Darum soll das Schwert über ihre Städte kommen und soll ihre Riegel zerbrechen und sie fressen um ihres Vorhabens willen“ (11, 5–6).
Diese Prophezeiungen wurden durch den Überfall auf das nördliche Reich erfüllt, den der assyrische König Schalman initiierte. Der Autor von 2. Könige nennt den Grund für den Untergang des Reiches und die Verschleppung: Sie huldigten fremden Göttern, bauten Opferhöhen für den Götzenkult, weigerten sich verstockt, umzukehren, missachteten Gottes Gesetz und praktizierten Hexerei und Wahrsagerei (2. Könige 17, 7–18) – die gleichen Sünden, die Hosea aufzählt. Er schließt: „So wurde Israel aus seinem Lande weggeführt nach Assyrien bis auf diesen Tag“ (Vers 23).
Doch Hosea schreibt auch über die Segnungen, mit denen Israel einst in seinem Land wiederhergestellt werden soll. Diese Passagen sind zwischen den Verkündigungen der oben angesprochenen Flüche eingestreut.
In 3. und 5. Mose werden zehn Arten der Wiederherstellung und Segnung als Lohn für Buße und Gehorsam aufgeführt (siehe 3. Mose 26, 40–45; 5. Mose 30, 1–10). Sie sind die Basis für ein positives Ende in Hoseas Prophezeiungen. Dazu gehören die Erneuerung des Bundes, wodurch die Flüche aufgehoben werden und die Segnungen für Gehorsam zurückkommen (3. Mose 26, 3–13; 5. Mose 28, 1–13), die Erneuerung von Gottes Gunst, wahre Religion, Bevölkerungswachstum, reiche Ernten, Wohlstand und Gesundheit, die Rückkehr ins heilige Land, die Wiedervereinigung der Stämme, der Sieg über die Feinde und die Befreiung von Tod und Zerstörung.
Bei Hosea ist das heimkehrende Volk Israel und Juda „mein Volk“ (Hosea 1, 9–2, 1); die Ehe zwischen Gott und seinem Volk wird wiederhergestellt (2, 14–23); es wird wieder ein gottesfürchtiges Königtum geben (3, 5), Heilung und Erholung (6, 1–3), Rechtschaffenheit (10, 12), Liebe zu Ephraim (11, 8–11), und Israel wird ganz wiederhergestellt (14, 1–8).
Das Wissen um die Bedeutung der zugrunde liegenden Passagen über Segnungen und Flüche im Pentateuch erhellt die spezifischen Aussagen der großen und kleinen Propheten. Sie erklären, was als Lohn der Sünde negativ und unmittelbar auf Israel zukommt, und was positiv und langfristig kommen wird, weil Israel Buße tut und Gott ihm Liebe und Erbarmen zeigt. Den Aussagen, die deutlich machen, dass es verworfen wird, folgt ihr Gegenteil. Israel und Juda werden einst in ihr Land zurückkehren, „denn der Tag Jesreels wird ein großer Tag sein. Sagt euren Brüdern, sie seien mein Volk [Ammi], und zu euren Schwestern, sie seien in Gnaden [Ruhama]“ (2, 2–3).