Konstantin - der Mann und die Kirche

Der Einfluss Kaiser Konstantins auf die Formung der römischen Kirche wird allgemein unterschätzt oder vernachlässigt. 

Die Christenheit hat Konstantin lange zu den Ihren gezählt. Klare Belege hierfür fehlen allerdings. Selbst gegen Ende seiner Herrschaft war der Kaiser offen für neue philosophische Gedanken: Der Heide Sopater aus Apamea hatte einen solchen Einfluss auf ihn, dass er auf Betreiben eines christlichen Präfekten der Prätorianer ermordet wurde. Noch weniger passt dazu, dass der „christliche“ Kaiser selbst den Mord guthieß, wie er zuvor für die Hinrichtung sowohl seiner Frau als auch seines Sohnes gesorgt hatte. Etwa gleichzeitig mit Sopaters Tod setzte Konstantin auch christliche Bischöfe ab, mit denen er Streit hatte. Es scheint, als sei es Konstantin vor allem um die religiöse Macht gegangen. 

Was wir aus erster Hand über den Kaiser wissen, entstammt zum großen Teil den Schriften des Eusebius von Cäsarea, der vor allem als zeitgenössischer Kirchenhistoriker bekannt ist. Als er dem Kaiser begegnete, wurde Eusebius eindeutig sein Bewunderer; später schrieb er die Vita Constantini, das Leben Konstantins. Als Bischof von Cäsarea stellte Eusebius Konstantin als sehr christenfreundlich dar und nannte ihn den ersten christlichen Kaiser. In den Augen des Bischofs war mit diesem Kaiser das Reich Gottes gekommen - eine Sicht, die nachfolgende Generationen von Kirchenhistorikern weiter entwickelten. 

Die Biografie des Eusebius - bestenfalls eine Verklärung - ist noch immer die Grundlage des Bildes, das die meisten Menschen von Konstantin haben. Bedauerlicherweise ist sie nicht objektiv. Panegyriken dieser Art waren im Reich üblich; sie priesen die Tugenden und Heldentaten eines Kaisers oder Herrschers, oft jedoch ohne Rücksicht auf Tatsachen oder die Realität. 

Doch Eusebius ist nicht der einzige Chronist des illustren Kaisers. Das christliche Abendland hat lange die zahlreichen Geschichtswerke und Berichte von weltlichen Autoren ignoriert, die während und nach seiner Zeit entstanden. Dass diese Autoren Konstantins religiöse Einstellung anders darstellten als Eusebius, selbst nachdem sich das Reich zum Christentum bekannt hatte, wurde in der akademischen Welt erst vor Kurzem zur Kenntnis genommen. 

Die [religiöse] Revolution des 4. Jahrhunderts . . . wird nicht verstanden, wenn wir die fast wilde Entschlossenheit unterschätzen, mit der die Christen das Wunder anerkannten und sich zunutze machten, das Konstantin in einen Unterstützer, Beschützer und später Gesetzgeber der christlichen Kirche verwandelt hatte.“ 

Arnaldo Momigliano, The Conflict Between Paganism and Christianity in the Fourth Century

Entgegen den Behauptungen späterer christlicher Chronisten, die der Argumentation des Eusebius folgten, dienten heidnische Philosophen wie Sopater den Kaisern bis zum Ende des 4. Jahrhunderts weiterhin in wichtigen Funktionen. So war Themistius 40 Jahre lang einer der wichtigsten Amtsträger in Konstantinopel - von der Zeit unter Constantius, dem Sohn Konstantins, bis zur Zeit des Theodosius am Ende des 4. Jahrhunderts. Themistius soll aus seinen heidnischen Überzeugungen und Praktiken keinen Hehl gemacht haben. 

Es dauerte nicht lange, bis heidnische Autoren die Lücken und Mehrdeutigkeiten in Eusebius' Berichten über Konstantin aufzeigten; christliche Autoren späterer Jahrhunderte schrieben deshalb sogar selbst Chroniken, um die Lücken zu stopfen und Eusebius' Schwächen als Geschichtsschreiber zu kaschieren. Fälschungen wie die „Apostelgeschichte des Sylvester“ und „Die Konstantinische Schenkung“ wurden, wie man heute weiß, zu diesem Zweck geschrieben. Doch trotz fehlender Historizität prägten sie jahrhundertelang die Vorstellung der Christen von der Kirchengeschichte. Wie stand Konstantin nun zum Christentum? 

KONSTANTIN UND EIN REICH IM WANDEL 

Das späte 3. Jahrhundert war eine Zeit erheblicher Unruhe im römischen Imperium. Nachdem ein halbes Jahrhundert lang militärische Anarchie geherrscht hatte, führte Kaiser Diokletian (284-305) ein neues Regierungssystem ein - eine Tetrarchie mit vier Staatsoberhäuptern -, um Ordnung im Reich zu schaffen: In Ostrom war Diokletian Augustus (Kaiser) mit Galerius als Cäsar (einer Art Unterkaiser); in Westrom regierte Maximian als Augustus mit Constantius als Cäsar. 

Obwohl alle vier Tetrarchen fast pausenlos militärisch aktiv waren, blieben die Taten des Constantius vielleicht am besten im Gedächtnis - und sei es nur, weil er der Vater Konstantins war, der einmal den Beinamen „der Große“ erhalten sollte. 

Die genauen Umstände der Geburt Konstantins sind fraglich. Klar ist jedoch, dass er angesichts der Position seines Vaters am Hof der mächtigsten Männer des Römischen Reiches unterrichtet und ausgebildet wurde. Während dieser Zeit diente er sowohl Diokletian als auch Galerius in Ostrom und bereiste mit ihnen ganz Syrien, Palästina und Ägypten. Es gibt die These, dass seine Anwesenheit am Hof dieses Kaisers einer Geiselhaft gleichkam, um die Loyalität seines Vaters im Westen zu gewährleisten. Was auch immer der Grund war - seine Zeit bei Hofe ermöglichte es dem jungen Mann, von den besten Lehrern zu lernen und die Probleme zu begreifen, die es im Reich gab. Als Konstantin die Weltbühne betrat, war er ein Mann mit der großartigen Vision, das Reich wieder zu einen. Was dies betrifft, so ist sein Erfolg Geschichte. 

Konstantins Zeit bei Hofe fiel mit der Christenverfolgung unter Diokletian zusammen - aus heutiger Sicht einem der letzten Versuche des Heidentums, sich gegen den Vormarsch des Christentums zu stemmen. Wenig mehr als 100 Jahre zuvor, gegen Ende des 2. Jahrhunderts, hatte das Christentum eine Mission entwickelt, wie sie das Reich noch nie erlebt hatte. Im Lauf des 3. Jahrhunderts wurde die Bewegung zusehends eine Herausforderung für die Institutionen des Staates. Die Bereitschaft einiger Christen, eher Märtyrer zu werden als sich den heidnischen Praktiken des Kaiserkults zu unterwerfen, bedeutete, dass die Position des Kaisers in Frage gestellt wurde, und dies vergrößerte die Probleme der Staatsführung. 

Nicht alle Christen waren jedoch so treu im Glauben. Manche wurden traditores (Verräter) - Menschen, die von einer Religion zur anderen wechselten, wenn es die Umstände erforderten. Dass so viele Männer, die Kirchenämter innehatten, dennoch solche „unsicheren Kantonisten“ waren, führte zu bitteren Kämpfen innerhalb der Kirche. 

VOM CÄSAR ZUM AUGUSTUS 

Im Jahr 306 reiste Konstantin zu seinem Vater, der sich in Eburacum aufhielt (der römischen Stadt in England, die heute York heißt), um einen Feldzug gegen die Pikten im Norden vorzubereiten. Beide Männer nahmen an diesem Feldzug teil. Bis vor Kurzem wurde die Reise nach York mit der schlechten Gesundheit des Vaters erklärt, doch inzwischen sehen manche sie als Bestandteil von Konstantins eigenem Machtspiel. Nach dem Tod seines Vaters rief das Heer Konstantin zum neuen weströmischen Cäsar aus. Innerhalb weniger Monate dankte Maximian als weströmischer Augustus ab, erhob Konstantin in diesen Rang und gab ihm seine Tochter Fausta zur Frau. 

Konstantin war ein Mann von beträchtlichem militärischem Können, und es gelang ihm viele Male, stärkere Gegner zu besiegen. Man zog den ehrenvollen Vergleich mit dem griechisch-makedonischen Eroberer Alexander dem Großen und nannte ihn victor und triumphator. Durch militärische Eroberungen erweiterte er ab 306 schrittweise seine Kontrolle über das Reich, bis er 324 alleiniger Kaiser wurde. 

VEREINIGUNG VON KIRCHE UND STAAT 

Schon ehe er Kaiser wurde, wusste Konstantin um die Reichweite des Christentums. Im Römischen Reich hatten zahlreiche Religionen einen Platz gefunden, doch sie waren tendenziell ortsgebunden und, solange dem Kaiser gehuldigt wurde, keine Herausforderung. Das Christentum hingegen hatte sich im ganzen Reich verbreitet, und seine Anhänger verweigerten die Teilnahme am Kaiserkult. Aber statt zu beschließen, sein Hoheitsgebiet vom christlichen Einfluss zu säubern, dachte Konstantin, die wachstumsträchtige Religion könnte sogar das Mittel sein, mit dem er die imperiale Einheit wiederherstellen könnte, wie sie unter Augustus Cäsar im 1. Jahrhundert geherrscht hatte. 

Sobald Konstantin die Kirche anerkannte, musste er entscheiden, was für eine Art Kirche sie war. Anerkennung führte zu Intervention.“

Robert M. Grant, Augustus to Constantine

Tatsächlich erwies sich das Christentum als entscheidender Faktor, um die Einheit des Imperiums nicht nur zu erreichen, sondern sie während seiner gesamten Regierungszeit zu bewahren. Zwar lebten in jedem Winkel des Reiches Christen, doch sie waren nicht geeint, wie generell angenommen wird. Es gab Machtzentren in Rom, im ägyptischen Alexandria und im syrischen Antiochia. Abgesehen von Sprachschwierigkeiten führten Zwistigkeiten um verschiedene Auslegungsfragen sowie Korruption zu Rissen innerhalb der christlichen Religion und bedrohten somit die Einheit des Reiches selbst. 

Als Augustus in Westrom suchte Konstantin deshalb die Streitfragen zu lösen, die die Kirche spalteten. Sein erstes Problem war in Nordafrika, wo sich rivalisierende Gruppen um seine Gunst bemühten. Konstantin führte daraufhin Synoden ein, die Streitfragen klären sollten. Die Kirche wurde effektiv dem Staat unterstellt, denn Gesuche der Synode mussten an den Staat weitergereicht werden. Bereits bestehende Strukturen innerhalb der Kirche schienen den Kaiser nicht zu interessieren. Er nahm sich das Recht, zu bestimmen, was für eine Religion das Christentum sein würde - er ernannte sich sogar selbst zum Bischof. 

Dann rief er im Jahr 325 im Osten die Bischöfe der Kirche zu dem heute berühmten Konzil von Nizäa zusammen und gab ihnen unter anderem auf, eine einheitliche Position zur Stellung Christi innerhalb der Gottheit zu definieren. Diese Frage hatte zu Spaltungen geführt, insbesondere in Ostrom, wo die Bischöfe über die Ideen des Alexandriners Arius stritten. Obwohl Konstantin offenbar nicht sonderlich aktiv an der Debatte teilnahm, übte er die Funktion eines Aufsehers aus, um zu gewährleisten, dass ein Konsens erreicht wurde. Einige der Formulierungen im Edikt des Konzils stammten tatsächlich von ihm; damit konnte er zeigen, wie gebildet er in den umstrittenen philosophischen Themen war, aber auch ein Gefühl für Orthodoxie innerhalb der Kirche schaffen, denn sie überwanden einige der Brüche, die bis dahin typisch für die sich entwickelnde Kirche gewesen waren. Dank dieser Vereinbarung konnte er jeden Bischof, der sich nicht an eine vorgegebene Lehre hielt, einfach zum Irrlehrer erklären.   

Konstantins Änderungen hatten eine zweifache Wirkung. Kirchenführer hatten nun Zugang zur Maschinerie des Staates, um kirchliche Kontrolle auszuüben. Noch wichtiger aber war, dass Konstantin selbst die Rangordnung der Bistümer festsetzen konnte, wie es seinen Zielen entsprach. So stand der Bischof von Konstantinopel nun über allen anderen Bischöfen und war gleichrangig mit dem Bischof von Rom. 

KONSTANTIN NEU BEWERTET 

Trotz seiner Aufsichtsfunktion beim Konzil von Nizäa und seiner Selbsternennung zum Bischof schob Konstantin seine Taufe hinaus bis 337, als er im Sterben lag. 

Getauft oder nicht - er hat das traditionelle Christentum entscheidend geprägt. Eusebius begrüßte Konstantins Handeln als Beweise wahren Christentums, doch bei näherer Betrachtung hätte er ihn vielleicht anders gesehen. 

Eine Neubewertung christlicher wie auch heidnischer zeitgenössischer Quellen könnte stattdessen zu dem Schluss führen, dass Konstantin das Christentum für sein eigenes Ziel benutzt hat, sein Reich zu einen und zu kontrollieren. Die neutestamentliche Urkirche der apostolischen Zeit existierte unabhängig vom Reich. Konstantin machte seine römisch-christliche Kirche zur Geisel des Staates, sodass sie fortan den Bedürfnissen des Kaisers und des Reiches diente. 

Am Ende des 4. Jahrhunderts entsprach diese Kirche den politischen Strukturen des Römischen Reiches, dem sie dienstbar war - nicht der Bibel. Sie nahm die Macht des Staates an, um das „richtige Denken“ bei ihren Mitgliedern zu etablieren (siehe unseren Artikel „Orthodoxie - nur eine weitere Häresie?“). Orthodoxie wurde ein Muss. Obwohl bis ins 5. Jahrhundert weiterhin Heiden sowie diverse christliche Gruppierungen koexistierten und die kirchliche Diskussion prägten, war eine mächtige Organisation geschaffen worden, die das religiöse Denken im Reich kontrollieren und von jedem für unorthodox befundenen Element säubern sollte.