Die Macht des guten Beispiels

Menschen in Positionen mit formeller Autorität fordern manchmal Respekt ein, bevor sie ihn verdient haben. Ihre Untergebenen mögen ihre Rolle oder Stellung respektieren, ihnen aber keine moralische Autorität zugestehen – die Macht, die davon kommt, dass jemand ein gutes Beispiel gibt –, bis sie bewiesen ist. Ohne Demut sind Menschen in Führungspositionen versucht, allein auf der Basis ihrer Stellung Respekt zu verlangen.

Menschen, die Integrität und einen guten Charakter beweisen, leben nach ihren Werten und beeinflussen andere durch ihr Beispiel. Sie sind vielleicht nicht im formellen Sinn Autoritätspersonen, aber trotzdem erkennt man ihre moralische Autorität an, weil sie konsequent nach einem Kodex leben: Gutes tun, nicht nur darüber reden.

Dies ist bisweilen leichter gesagt als getan. Laut Keshavan Nair, einem Berater für Menschen in Führungspositionen, ist Mut „das Fundament der Integrität“ – und Mut bedeutet oft, den Weg zu gehen, den die meisten nicht gehen. Es bedeutet, angesichts von Opposition gegen Wahrheit und Werte immer für das einzustehen, was richtig ist. Zwar folgt kein Mensch ohne Abweichung dem Weg der Werte, aber wer dauerhaft und mutig Integrität im Denken und Handeln beweist, zeigt, warum er oder sie eine gewisse moralische Autorität gewonnen hat.

Dem Leben von Menschen, die bekannte moralische Pioniere geworden sind, lag oft religiöser Glaube zugrunde. Mit Sicherheit gilt dies für Abraham Lincoln, dessen biblische Überzeugungen sein Gefühl für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung prägten. Mit der Zeit gelangte er zu der Gewissheit, dass es seine Pflicht war, der Sklaverei ein Ende zu bereiten. Mahatma Gandhis gewaltloser Widerstand wie auch sein Engagement für Wahrhaftigkeit, Liebe und persönlichen Wandel erwuchsen aus seiner Praxis der ethischen und spirituellen Prinzipien des Hinduismus und der Lehren des Neuen Testaments.

Auch Martin Luther King Jr., der von Gandhi inspiriert war, glaubte an Gewaltlosigkeit und an die Lehren Jesu Christi zu Feindesliebe, Gerechtigkeit und wahrer Freiheit. Nelson Mandelas moralisches Ansehen beruhte auf seiner standhaften Opposition gegen die Apartheid und seinem Kampf für die Rechte der Schwarzen Südafrikas. Er bekannte, dass Martin Luther King Jr. und Gandhi sein Denken geprägt und dazu beigetragen hatten, Prinzipien der Gewaltlosigkeit im African National Congress zu entwickeln und zu stärken. Vergrößert wurde Mandelas moralisches Ansehen durch sein friedliches Durchhalten in den 27 Jahren seiner Haft, seine Weigerung, von seinen Zielen abzurücken, als ihm dafür die Freilassung angeboten wurde, und die versöhnende und vergebende Führung, die er seinem Land schließlich gab. Zwar war Mandelas persönlicher religiöser Glaube etwas schwer zu erkennen, aber er war von seiner methodistischen Mutter als Christ erzogen worden und hatte als Präsident weiterhin eine starke Beziehung zur Kirche.

Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“

Matthäus 5, 16, Luther 1984

Diese unterschiedlichen Beispiele sind ein klarer Beleg für die Universalität der Lehre Christi, aber das ist nicht alles. Was kann man denn über seine moralische Autorität sagen? Die Lehre ist nur ein Aspekt Christi, teilweise ausgedrückt in der bekannten Bergpredigt – einer längeren Ansprache, in der er das Wesen der verwandelnden Lebensweise in seiner Nachfolge beschrieb. Diese im Matthäusevangelium überlieferte Lehre erstreckt sich über drei Kapitel, aber der Kern besteht aus nur acht Aussagen, den sogenannten Seligpreisungen.

Die Seligpreisungen betreffen Vertrauen auf Gottes liebende Herrschaft über das menschliche Leben, geistliche Trauer über das Dasein des Menschen, demütige Offenheit für Gottes Weisung, aufrichtigen Hunger nach geistlicher Nahrung, das Gebot, allen Mitgefühl oder Erbarmen zu zeigen, das Streben nach innerer Reinheit des Herzens, aktives Bemühen um Frieden mit allen und das Akzeptieren, dass man bei dem Streben nach den Eigenschaften, die den richtigen Weg ausmachen, auf Widerstand stößt. Wenn man diese Grundlagen in der Nachfolge Christi nicht richtig verinnerlicht, sie nicht zum Fundament seines Lebens macht, besteht keine Chance, dass die übrigen detaillierten Anweisungen für ein richtiges Leben Sinn stiften werden. Doch wer diese Dinge tut, eifert seinem Lehrmeister nach und wird für sein gutes Beispiel bekannt sein.

Die moralische Autorität Christi geht über seine Lehre hinaus. Sein Einfluss liegt in der Tatsache, dass er von uns nichts erwartet, das er nicht selbst als Mensch vorgelebt hat. Und in seinem Fall gehörte dazu ein freiwilliger Tod, der die Strafe für die Sünde jedes Menschen auf der Erde bezahlte. Das ist das Kennzeichen des höchsten Lehrmeisters der Moral.