Monotheismus neu bedacht

Um Monotheismus besser zu verstehen, muss man mehr bedenken als nur Zahlen.

Für die meisten Menschen ist Monotheismus ein klarer Begriff: der Glaube an einen Gott statt an viele Götter. Diese numerische Definition – einer statt viele – wird seit Langem verwendet, um die großen abrahamitischen Religionen (Christentum, Judentum und Islam) von antiken heidnischen Traditionen zu unterscheiden. Doch bei näherem Hinsehen wird diese scheinbar einfache Definition bemerkenswert komplex; sie offenbart, dass die Natur göttlicher Einheit weit nuancierter sein kann, als bloßes Zählen erfasst.

In der Bibel kommt der Begriff Monotheismus nicht vor, und ob bzw. wie er die göttliche Natur korrekt beschreibt, ist seit Jahrtausenden umstritten. Bei näherer Betrachtung der Primärquellen zeigt sich, dass strikter numerischer Monotheismus – die Vorstellung, dass es genau ein göttliches Wesen gibt – nicht angemessen erfasst, wie biblische Autoren das Göttliche verstanden.

Betrachten wir die Lehre der Trinität (Dreieinigkeit), die sich später im Christentum entwickelt hat. Die meisten Christen glauben heute, dass es einen Gott gibt, der als drei verschiedene Personen existiert – Vater, Sohn und Heiliger Geist. Aber diese theologische Formulierung entstand Jahrhunderte später als die biblischen Texte. Das Trinitätsdogma, das bei Konzilien formalisiert wurde (darunter Nizäa 325 n. Chr. und Konstantinopel 381 n. Chr.), repräsentiert das Bestreben, zu systematisieren, was viele frühe Christen inzwischen glaubten, nicht aber etwas, das die Bibel ausdrücklich lehrte. Dies hat es schwer gemacht, zu verstehen, was die Autoren der Bibel mit göttlicher Einheit meinten.

In ähnlicher Weise war sogar in der heidnischen Philosophie der Antike manchmal die Rede von Formen theologischer Einheit. Der Philosoph Plotin erkannte zwar an, dass es viele Götter gebe, argumentierte aber, alle Gottheiten seien Emanationen des „Einen“ – eines höchsten, einheitlichen Ursprungs. Diese Sicht von der Einheit der Gottwesen legt nahe, dass die Unterscheidung zwischen monotheistischen und polytheistischen Traditionen weniger absolut sein könnte als gemeinhin angenommen.

Jüdischer Monotheismus und hebräische Belege

Vielleicht überraschenderweise kommt die aufschlussreichste Grundlage für eine Neubetrachtung des Monotheismus aus dem Judentum. Die Encyclopaedia Judaica definiert jüdischen Monotheismus nicht als numerische Singularität Gottes, sondern als „Einzigkeit“ eines persönlichen Gottes, der „die Existenz jedes anderen qualitativ ähnlichen Wesens ausschließt“. Diese Definition betont Gottes Unvergleichbarkeit statt einer mathematischen Einheit.

Das berühmte Schema – „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein“ (5. Mose 6, 4) – wird oft als die jüdische Erklärung des Monotheismus zitiert. Dagegen argumentiert der Bibelforscher Jeffrey H. Tigay, dieser Vers beschreibe vielmehr „die richtige Beziehung zwischen YHVH und Israel: Er allein ist Israels Gott. Das ist keine Erklärung des Monotheismus in dem Sinn, dass es nur einen Gott gibt.“

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.“

5. Mose 6, 4 (Lutherbibel 1984) 

Sacharja 14, 9 stützt diese Interpretation als Beziehung mit der Prophezeiung: „Der HERR wird König sein über alle Lande. Zu der Zeit wird der HERR der einzige sein und sein Name der einzige.“ Wie Tigay anmerkt, sagt dies aus: Was für Israels Beziehung mit Jahwe galt, wird einst die ganze Menschheit einschließen. Nicht, dass andere Geistwesen aufhören werden, zu existieren, sondern dass Jahwes Herrschaft überall anerkannt sein wird.

Die hebräische heilige Schrift selbst spricht durch ihre Verwendung von Elohim – einem Pluralnomen, das fremde Götter und auch Jahwe, den Gott Israels bezeichnet. Wenn man untersucht, wie Elohim in der gesamten hebräischen Bibel verwendet wird, finden sich Bezüge auf Geistwesen, die eindeutig mehr sind als bloße Götzenbilder aus Holz und Stein (vgl. 5. Mose 32, 17; Psalm 86, 8; 136, 2).

Ein vielsagendes Beispiel sind die Zehn Gebote: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ (2. Mose 20, 3). Dieses Gebot setzt die Existenz anderer Götter voraus und verlangt Treue zu Jahwe allein. Es spricht nicht anderen Gottwesen die Existenz ab, sondern etabliert eine Hierarchie.

Auch andere Passagen stützen dies. Ein Beispiel ist Jesaja 43, 10, wo Jahwe erklärt: „Vor mir ist kein Gott gemacht, so wird auch nach mir keiner sein.“ Auch dies verweist nicht auf eine Inexistenz anderer Götter, sondern auf deren Status als geschaffene Wesen und ihre letztliche Nachrangigkeit gegenüber Jahwe.

Nathan MacDonald bietet in seiner Arbeit „One God or One Lord? Deuteronomy and the Meaning of ‚Monotheism‘“ eine entscheidende Erkenntnis: In 5. Mose „ist die Bestätigung der Einheit Jahwes ein Aufruf, Jahwe zu lieben“ – eine Aufforderung zu einer Beziehung, die durch „Gehorsam und Anbetung“ ausgedrückt wird. Er stellt fest: „Die Forderung, Jahwe ausschließliche Treue zu erweisen, hängt für ihre rhetorische Wirksamkeit von der allgemein anerkannten Voraussetzung ab, dass andere Götter existieren und eine ernste Gefahr für Israels Bindung an Jahwe darstellen.“

Dieses Verständnis macht den Monotheismus von einer metaphysischen Behauptung über eine numerische Einheit Gottes zur praktischen Forderung ungeteilter religiöser Treue. Die Hauptsache ist nicht mehr, ob es andere Geistwesen gab, sondern ob sie angebetet wurden, da Jahwe allein angebetet werden sollte.

Ein vollständigeres biblisches Bild

Jahwe sollte der einzige Gott des alten Volks Israel sein, aber das Neue Testament zeigt, dass dessen Verständnis unvollständig war. Allerdings unterscheidet sich das Bild, das die biblischen Texte zeigen, auch erheblich von späteren trinitarischen Formulierungen.

Eine Aussage des Apostels Johannes ermöglicht eine wichtige Erkenntnis: Christus „hat uns gesagt und gezeigt, wer Gott ist“ (Johannes 1, 18, Gute Nachricht Bibel). Wenn Christus der Menschheit den Vater bekannt gemacht hat, impliziert dies, dass der Vater davor unbekannt war – aber Jahwe war den Israeliten natürlich durch ihre gesamte Geschichte bekannt.

Dies führt zu einem bemerkenswerten Schluss: Christus selbst muss Jahwe, der Gott der hebräischen Heiligen Schrift sein. Eine solche Identifikation ist vollkommen einleuchtend, wenn man Johannes’ Erklärung bedenkt, dass Christus der ist, durch den „alle Dinge gemacht“ sind (Johannes 1, 3), und dass die hebräische Heilige Schrift Jahwe als den Schöpfer zeigt. Moses Worte an Israel, „dass der HERR Gott ist oben im Himmel und unten auf Erden und sonst keiner“ (5. Mose 4, 39), würden sich somit auf Christus vor seiner Inkarnation beziehen.

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“

Johannes 1, 1–3 (Lutherbibel 1984)

Die göttliche Hierarchie, die sich aus diesem Verständnis ergibt, zeigt den Vater als den höchsten, zuvor unbekannten Gott, den zu offenbaren Christus gekommen ist, und Christus (als Jahwe), der unter der Autorität des Vaters dient und über alle geschaffenen Geistwesen herrscht, anstelle des späteren theologischen Konstrukts mit drei gleichrangigen Personen innerhalb einer dreieinigen Gottheit. Dies erklärt das Wort Christi „Der Vater ist größer als ich“ (Johannes 14, 28) – nicht weil nicht beide Ausprägungen desselben göttlichen Wesens wären (das sind sie), sondern weil der Vater die höchste Autorität innehat, sogar über Jahwe/Christus.

Zu einem biblischen Verständnis

Diese Beobachtungen legen nahe, dass man göttliche Einheit so verstehen sollte, wie die biblischen Autoren sie dargestellt haben, statt den biblischen Texten spätere theologische Überbauten aufzuzwingen. Die Bibel deutet auf eine Weltsicht hin, die mehrere Geistwesen anerkennt, wahrt dabei aber Jahwes einzigartige Stellung als den ungeschaffenen Gott, der über alle anderen göttlichen Wesen herrscht.

Die herkömmliche numerische Definition des Monotheismus erweist sich als ungeeignet für ein Verstehen, wie die Autoren der Bibel göttliche Realität sahen. Anstelle des späteren theologischen Konstrukts Trinität präsentiert die Bibel eine klare Hierarchie: Der Vater ist der höchste Gott, zunächst unbekannt, bis er durch Christus offenbart wurde, und Christus selbst ist der Jahwe der hebräischen heiligen Schrift, der unter dem Vater dient und über alle geschaffenen Geist- und Körperwesen herrscht.

Dieses biblische Verständnis erhellt, warum Christus als Gott (als Jahwe) verehrt werden konnte, während gleichzeitig die höhere Autorität des Vaters anerkannt wurde. Die exklusive Treue der Israeliten zu Jahwe war tatsächlich Treue zu dem noch nicht Mensch gewordenen Christus, der dann auf die Erde kam, um den bis dahin unbekannten Vater zu offenbaren und die richtige göttliche Hierarchie zu etablieren.

Dieser Rahmen mindert die Bedeutung des monotheistischen Glaubens nicht; vielmehr zeigt er, was die Autoren der Bibel tatsächlich dargestellt haben. Der Aufruf in der hebräischen heiligen Schrift, allein Jahwe anzubeten, wird zur Anbetung Christi in seiner Rolle als Schöpfer und Herrscher, während die Sendung Christi die letztgültige Autorität des Vaters offenbart. In diesem Licht wird biblischer Monotheismus erkennbar – nicht als mathematische Singularität oder später trinitarische Gleichrangigkeit, sondern als Anerkennung der richtigen göttlichen Hierarchie mit dem Vater als dem Höchsten, Christus als Jahwe, der unter ihm dient, und allen anderen Geist- und Körperwesen beiden untergeordnet.