Was sagt schon ein Name?
Der Apostel Paulus „wurde kein Christ, weil es damals keine Christen gab“ – so der jüdische Theologe und Historiker Pinchas Lapide. Auf den ersten Blick ist das eine schockierende Aussage über den Mann, den viele für den wahren Gründer des Christentums halten. Es ist bekannt, dass die ersten Menschen, die Jesus von Nazareth folgten, jüdischer Religion und Kultur waren. Aber wurden sie „Christen“? Überraschenderweise verwendet das Neue Testament das Wort Christen nur dreimal und das Wort Christentum nie. Was ist da los und warum ist es wichtig?
Als der Evangelist Lukas in der Apostelgeschichte die Geschichte der Urkirche niederschrieb, verwendete er das Wort Christen nicht als Selbstbezeichnung der Jünger Jesu, sondern als Bezeichnung ihrer Kritiker für sie. Als er z. B. schrieb: „In Antiochia wurden die Jünger zuerst Christen genannt“ (Kap. 11, 26), verwendete er das griechische Christianoi, ein Wort, das Mitglieder einer politischen Partei bezeichnet – „die Christos-Anhänger“. Damals gab es auch andere derartige Parteien, z. B. die Herodianoi – Anhänger von König Herodes, die planten, Jesus zu Fall zu bringen. Mit anderen Worten: Die Kritiker sagten, die Jünger Jesu seien Anhänger eines Mannes, den sie für einen politischen Aktivisten und judäischen König hielten.
„Gegner der Jesus-Bewegung in Antiochia verhöhnten die Jünger offenbar mit einem neuen Wort, einer Analogie zu politischen Parteien Roms: ,Parteigänger des (judäischen Königs) Christos‘.“
Ein weiteres von Lukas überliefertes Beispiel ist der Kommentar des Königs Agrippa, vor dem sich Paulus verteidigte; er verwendete den Begriff Christianoi, als er sagte, Paulus habe ihn fast überredet, Christ zu werden (Kap. 26, 28). Auch hier war das Wort abfällig gemeint.
Als Drittes ermahnte der Apostel Petrus seine Zuhörer, sich nicht zu schämen, wenn sie dafür leiden mussten, Christen zu sein – wie bestimmte Nichtgläubige sie nannten (1. Petrus 4, 16).
Wie bezeichneten sich denn die ersten Jünger selbst? Die Apostelgeschichte verwendet mehrere Begriffe: „Brüder“, „Heilige“, „Gläubige“. Und statt „Sekte“, wie andere sagten, sprach Paulus von dem „Weg“, dem er folgte.
Erst im späten zweiten Jahrhundert, als die Urkirche von der Bühne verschwunden war, begannen manche, sich stolz mit dem einstigen Schimpfnamen „Christen“ zu bezeichnen. Dann ging das Wort in den normalen Sprachgebrauch ein. Genau genommen, ist das, was heute als „christlich“ gilt, aus Glaubensinhalten und Praktiken jener späteren Zeit hervorgegangen, nicht aus der Urkirche des ersten Jahrhunderts. Es mit Sprache genau zu nehmen, ist wichtig, weil aus dem Gebrauch von Wörtern Vorstellungen entstehen. Wenn Sprache ungenau oder falsch ist, sind die Vorstellungen und das Verständnis, also das, was wir durch die Verwendung dieser Sprache bilden, bestenfalls unsicher.
Was sagt schon ein Name? Viel – in jeder Hinsicht.
Bedenken Sie: Der christliche Sabbat, der in jenen späteren Jahrhunderten aufkam, ist der erste Tag der Woche, während die Urkirche den siebten Tag feierte. Und Gott wird vom Christentum als ein geschlossener dreieiniger Gott mit drei Personen definiert, obwohl das Neue Testament, wie manche Forscher einräumen, über den heiligen Geist als eine dritte Person nichts zu sagen hat. Viel liest man dort dagegen über die Macht und den Geist Gottes, die bzw. den die von Gott Berufenen empfangen. Erst nach dem Ende des ersten Jahrhunderts begann sich das trinitarische Denken zu etablieren. Zu bedenken ist auch, dass Jesus Christus apolitisch war – ein mitfühlender Mensch, der sich auf die Nöte der Ausgegrenzten konzentrierte und bereit war, das höchste Opfer für die ganze Menschheit zu bringen, ganz im Gegensatz zu Leuten, die Religion und Politik vermengen, oft zu ihrem persönlichen Vorteil.
Diese und viele andere Widersprüche zwischen dem „Christen“ der Zeit nach der Urkirche und dem „Nachfolger auf dem Weg“ erkennt man rasch, wenn man dem Weg der Urkirche in Jerusalem folgt und sich an das Neue Testament als Basis des Glaubens und der Praxis hält.