Der Weg zum Sonntag
In der ganzen Welt feiern nahezu alle, die sich als Christen verstehen, den ersten und nicht den siebten Tag der Woche. Auf welcher Basis wurde der Sonntag zum anerkannten „Tag des Herrn“?
Der Dominikanerpater Thomas von Aquin, ein äußerst einflussreicher Theologe des 13. Jahrhunderts, soll seinen Zeitgenossen geraten haben: „Haltet vor allem fest daran, dass unser Glaube derselbe ist wie der der Alten. Leugnet dies, und ihr löst die Einheit der Kirche auf.“ Diese Worte werden generell als Mahnung zur Einigkeit innerhalb der römisch-katholischen Kirche gedeutet, doch man könnte Thomas’ Warnung auch als gezielte Kritik an bestimmten Elementen seiner eigenen religiösen Praxis verstehen, auch wenn er selbst dies kaum so gesehen haben dürfte.
Ein Bereich, in dem er nicht an dem Glauben und der Praxis „der Alten“ festhielt, war seine Wahl des Tages, der als heilig gelten sollte. Die meisten bekennenden Katholiken und anderen Christen betrachten heute den Sonntag als wöchentlichen Tag des Gottesdiensts; dies ist aber eine erhebliche Abweichung von dem, wie es ursprünglich war.
Wann und mit welcher Berechtigung wurde dies geändert?
REVISION ALS GESCHICHTE
Die Festigung des Sonntags als Ruhetag wird von einigen auf das Konzil von Laodizäa im 4. Jahrhundert zurückgeführt, dessen Kanon 29 lautet, „dass die Christen nicht judaisieren und am Sabbat nicht müßig sein, sondern an diesem Tage arbeiten sollen; den Tag des Herrn aber [den Sonntag] sollen sie besonders ehren und wenn möglich an demselben als Christen nicht arbeiten.“ Wer sich als Christ bezeichnete, den Sabbat aber weiterhin am siebten Tag hielt, sollte „mit dem Kirchenbann belastet sein“, verflucht, ausgeschlossen, verworfen, nicht mehr Mitglied der Gemeinde – eine harte Strafe für jeden, der weiterhin gemäß dem vierten Gebot den Sabbat heiligte. Dass die Obrigkeit diesen Kanon für notwendig hielt, deutet allerdings darauf hin, dass viele Christusgläubige es auch mehr als 300 Jahre nach seinem Tod noch als richtig erachteten, den Sabbat zu halten.
„Es reicht nicht aus, sich auf frühe christliche Praxis zu berufen, wenn dies nicht auch die Praxis der Urkirche einschließt.“
Man könnte auch an das noch frühere Konzil von Nicäa (325) denken, bei dem die zeitliche Festsetzung des inzwischen bevorzugten Osterfests vom jüdische Passafest entkoppelt wurde, „sodass alle Brüder im Osten, die früher mit den Juden das Fest begingen, mit den Römern und euch und uns allen nun übereinstimmen, die wir uns von Anfang an bis jetzt daran gehalten haben, zusammen mit euch das Osterfest zu begehen“.
Bei den Römern war es Brauch, nicht nur den Tag der Auferstehung Jesu statt den seines Todes zu feiern, sondern dies auch immer an einem Sonntag zu tun, denn die aufkommende christliche Orthodoxie lehrte, dass er am ersten Tag der Woche auferstanden sei. So schlug das Konzil von Nicäa eine einheitliche Form der Berechnung vor, auf welchen Sonntag ihr Osterfest in jedem Jahr fallen sollte.
Die heidnischen Ursprünge des Osterfests sind bekannt; deshalb könnte man fragen, wie alt dieser Brauch der Römer eigentlich war. Wir haben an anderer Stelle geklärt, dass Jesus am Abend eines Sabbats und nicht an einem Sonntagmorgen auferstand und dass der Sonntagskult folglich ein synkretistisches Gemisch aus christlicher Orthodoxie und heidnischem Sonnenkult war (siehe „Steht in der Bibel, dass Jesus an einem Sonntag auferstand?“). Die Bibel sagt denen, die Christus folgen, einfach „Verkündigt […] den Tod des Herrn, bis er kommt“. Sie hält sie nicht dazu an, den Tag zu feiern, an dem er ihrer Meinung nach auferstand (1. Korinther 11, 26; Kursivsetzung vom Autor).
Dennoch wird in den meisten Konfessionen heute behauptet „Der Tag des Herrn erhält seine Bedeutung durch die Auferstehung Christi“ und aufgrund dessen sei der Sonntag „bald der Tag geworden, an dem sich die Gemeinden versammelten“ (Theological Dictionary of the New Testament).
Die Popularisierung der Sonntagsfeier ließe sich auch auf das Jahr 313 n. Chr. zurückführen, in dem das Edikt von Mailand, gemeinsam erlassen von den Kaisern Konstantin I. und Licinius, viele christliche Gottesdienstpraktiken entkriminalisierte. Über Konstantins Einfluss in diesen Jahren sagt Paula Fredriksen, emeritierte Professorin der Boston University, „dass die Art Christentum, die Konstantin begünstigte, ganz anders war als das, was Paulus vertreten hatte. Dass Konstantins Christentum sich als das einzig wahre im Sinne der paulinischen Lehre verstand, hätte den Schock des historischen Paulus über den Unterschied zwischen Konstantins Christentum und seinem eigenen noch verstärkt.“ Wie konnte es zu einer so großen Abweichung kommen?
All diese Konzilien und Edikte geschahen Jahrhunderte nach den Ereignissen, die das Neue Testament beschreibt, und während einer so langen Zeit kann es zu erheblichen Abweichungen von der ursprünglichen Absicht kommen. Gibt es Quellen, die der Zeit der Apostel selbst näher sind?
FRÜHE AUSSERBIBLISCHE QUELLEN
Zur Bestätigung einer frühkirchlichen Praxis, am Sonntag Gottesdienst zu feiern, werden üblicherweise drei andere Dokumente zitiert. Das erste ist ein Brief des Ignatius von Antiochien an die Magnesier, der generell auf das frühe 2. Jahrhundert datiert wird.
Fälschung oder nur Missverständnis?
Es ist wichtig, zu verstehen, dass viele Schriften, die den Namen Ignatius tragen, in der modernen Forschung als Fälschungen aus weit jüngerer Zeit gelten. Von den 15 oder mehr ihm zugeschriebenen Werken werden mindestens acht generell als Fälschungen angesehen, die nicht, wie dort angegeben, um 110 n. Chr., sondern viel später und außerdem von anderen Autoren geschrieben wurden. Die sieben, die als echt gelten, werden jedoch weithin ebenfalls als unzuverlässig beurteilt, denn sie enthalten umfangreiche Einschübe von einem oder mehreren späteren Kopisten, denen es darum ging, den Ursprung aufkommender orthodoxer Lehren zurückzudatieren. Selbst die Catholic Encyclopedia räumt ein: „Die echten Episteln wurden sehr stark mit Einschüben versehen, die den persönlichen Ansichten ihres Verfassers Gewicht verleihen sollten. Aus diesem Grund können sie nicht Zeugnis der ursprünglichen Form sein. […] Es ist äußerst wahrscheinlich, dass der Verfasser der Einschübe in den echten [und] der zusätzlichen, unechten Briefe […] ein Apollinarist aus Syrien oder Ägypten war, der um den Anfang des 5. Jahrhunderts schrieb.“
Es kann daher sein, dass der größte Teil der Schriften, die angeblich von Ignatius stammen, tatsächlich die Vorstellungen und Praktiken von Christen widerspiegeln, die nicht gegen Ende des 1. Jahrhunderts lebten, sondern deutlich später. Das Mindeste ist, dass die ihm zugeschriebenen Werke nicht als zuverlässiger Indikator dessen nutzbar sind, was die frühe Kirche glaubte und lehrte.
In einer deutschen Übersetzung des Briefs ist die Rede von Menschen, „die nach dem alten Brauche lebten, umgekehrt zur neuen Hoffnung gelangt sind, indem sie nicht mehr den Sabbat halten, sondern ihr Leben nach dem Sonntag [Tag des Herrn] richten, an dem auch unser Leben aufgesprosst ist durch ihn und seinen Tod“. Auch dies verknüpft die Sonntagsfeier mit Ostern, dessen Feier nicht auf die biblischen Personen und frühen Christen zurückgeht, denen spätere Kirchenväter angeblich folgten, sondern auf verschiedene vorchristliche Religionen.
Allerdings ist zu bedenken, dass dieser Text nur die Wiedergabe des Originals durch Übersetzer ist – eine Wiedergabe, die durchaus theologisch voreingenommen sein kann. Das Problem in diesem Fall ist, dass die meisten Übersetzungen das Wort Tag („Tag des Herrn“) verwenden, mit der Begründung, dass der Kontext es impliziere, obgleich Tag im griechischen Text dieser Passage des Briefs an die Magnesier nirgendwo steht. Vielmehr „steht das Substantiv,Leben – zoen‘ in der ältesten erhaltenen griechischen Handschrift [Codex Mediceo-Laurentianus]; folglich ist ,Leben des Herrn‘ die wahrscheinlichste Übersetzung“ (Samuele Bacchiocchi, From Sabbath to Sunday).
„Den Ausdruck ,Tag des Herrn‘ in den Text [des Ignatiusbriefs an die Magnesier] hineinzuzwingen erscheint als reiner Kunstgriff, um die Vorstellung zu unterstützen, er sei schon früh verwendet worden.“
Vor dem Wort, das weithin mit „Tag des Herrn“ übersetzt wurde, steht außerdem das griechische Wort kata. An anderen Stellen in dem Brief wird kata oft als „gemäß“, „nach“ oder „in der Weise von“ übersetzt. Möglicherweise empfiehlt diese Passage also denen, die Jesus Christus folgen, zu handeln wie er, nicht ritualistisch den Sabbat zu halten, wie es bei der jüdischen religiösen Obrigkeit üblich geworden war, sondern vielmehr zu leben, wie er gelebt hatte, seiner Lebensweise zu folgen – „gemäß dem Leben des Herrn zu leben“ oder „ihr Leben nach der Lebensweise des Herrn zu richten“.
Auch anderen Gelehrten ist dies nicht entgangen. Im Jahr 1849 schrieb Sir William Domville, obwohl selbst erklärter Sonntagskirchgänger, über die fragwürdige Übersetzung des Ignatiusbriefs: „Es gibt im Original keinen Ausdruck und kein Wort, das dem Ausdruck ,Tag des Herrn‘ oder dem Wort ,halten‘ entspricht.“ Statt halten sei gemäß […] leben die richtige Übersetzung; „davon zu sprechen, gemäß einem Tag zu leben, bedeutet tatsächlich, einen Ausdruck ohne Bedeutung zu verwenden. […] Doch wie vollkommen entspräche ,gemäß dem Leben des Herrn leben‘ dem ganzen Tenor des Kontexts! […] Deshalb ,ihr Leben nach dem Leben des Herrn richten, in dem auch unser Leben aufgesprosst ist‘. Warum ,auch‘ unser Leben, wenn nicht vorher das Leben des Herrn erwähnt worden wäre?“
Domville fährt fort: „Noch bemerkenswerter ist die Sprache eines vorausgehenden Satzes [in dem Brief an die Magnesier]: ,Denn die gotterleuchtetsten Propheten haben nach [kata] Christus Jesus gelebt.‘ Was besagt das anderes als ,Leben gemäß dem Leben des Herrn‘ – das heißt nach dem Beispiel, das er uns gegeben hat?“ Domvilles Argument lautet: Die Propheten des Alten Testaments, die mit absoluter Sicherheit den Sabbat am siebten Tag hielten, gestalteten ihr Leben in einer Weise, die der Lebensweise Christi und nicht der der jüdischen religiösen Obrigkeit entsprach, die den Sabbat mit so vielen Vorschriften und Verboten befrachtete, dass die Bedeutung des Tags im Wesentlichen unterging.
„Bei seinem Verweis auf ,die gotterleuchtetsten Propheten‘, die ,nach Christus Jesus lebten‘, dachte Ignatius höchstwahrscheinlich an Passagen der Propheten wie Jesaja 1, 13–17, wo dem Volk eine äußerliche, ritualistische Praxis des Sabbat vorgeworfen wird, ähnlich wie Jesus sie den Pharisäern vorwarf.“
Eine ebenfalls häufig zitierte frühe Quelle ist der Brief des Barnabas, wo es heißt: „Deshalb begehen wir auch den achten Tag ( = den Sonntag, den ersten Tag der neuen Woche) in Freude, an dem auch Jesus von den Toten auferstanden […] ist.“ Zwar wird der Brief oft auf 74 n. Chr. datiert, als einige Apostel noch lebten, doch deutet der Inhalt des Werks stark darauf hin, dass es weit später verfasst wurde. Im frühen 20. Jahrhundert konnten Kommentatoren schreiben: „Moderne Kritiker verneinen die Echtheit des Briefes einhellig. Als die Epistel geschrieben wurde, lebte der hl. Barnabas mit Sicherheit nicht mehr, und hätte er noch gelebt, hätte er nicht die heftige, strenge Haltung eingenommen, die in dem gesamten Dokument zum Ausdruck kommt“ (J. Tixeront, Handbook Patrology). Selbst die Catholic Encyclopediaerkennt an, der Brief müsse „130–131 n. Chr. geschrieben worden sein“.
Die wohl früheste außerbiblische Quelle, die herangezogen wird, um die Sonntagsfeier zu untermauern, ist die sogenannte Didache oder Apostellehre – ein kurzes Werk, das generell auf das mittlere 1. bis frühe 2. Jahrhundert datiert wird. Sie lehrt: „Am Tage des Herrn versammelt euch, brechet das Brot und saget Dank.“ Dieser Verweis auf den „Tag des Herrn“ soll beweisen, dass schon zur Zeit der Apostel der Sonntag und nicht der Sabbat gefeiert wurde.
„Ich gestehe zu, dass ,Tag des Herrn‘ mit der Zeit die Bedeutung von Sonntag bekam, aber man kann nicht automatisch davon ausgehen, dass es diese Bedeutung von Anfang an hatte. Des Weiteren kann man nicht automatisch davon ausgehen, dass der Autor ,Tag des Herrn‘ geschrieben hat. Die Übersetzung ist fraglich.“
Doch wie bei der Passage im Brief an die Magnesier steht auch hier nicht das griechische Wort für „Tag“. Auch diese Passage beginnt mit dem Wort kata, und der Kontext legt eine andere Übersetzung nahe: „Gemäß [dem Gebot, der Lehre, der Weise] des Herrn versammelt euch, brechet das Brot und saget Dank.“
Gäbe es doch nur eine definitive Lösung für die Frage, welchen Tag man als Christ heute heiligen sollte.
DIE QUELLE AUFSUCHEN
Um Klarheit zu bekommen, empfiehlt es sich, zu bedenken, wie die Heilige Schrift selbst die Praxis der Urkirche beschreibt. An welchem Tag hielt sie Gottesdienst und worauf gründete diese Praxis?
Im biblischen Schöpfungsbericht heißt es: „Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte“ (1. Mose 2, 3). Als Mose die Regeln wiederholte, nach denen die Israeliten leben sollten, wies er sie an: „Den Sabbattag sollst du halten, dass du ihn heiligest, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat“ (5. Mose 5, 12).
Was tat Jesus? Der Heiligen Schrift zufolge war es seine gewohnte Praxis, den Sabbat zu halten, nicht einen anderen Tag. Er lehrte regelmäßig in der Synagoge – „nach seiner Gewohnheit am Sabbat“ (Lukas 4, 16) – und sagte sogar über sich selbst, er sei „Herr auch über den Sabbat“ (Markus 2, 28).
Wenn Jesus gegen die religiöse Obrigkeit seiner Zeit sprach, kritisierte er die zusätzlichen Vorschriften, die sie neben den biblischen Anweisungen eingeführt hatte, nicht die Feier des Tags selbst. Er sagte: „Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern“ (Matthäus 23, 4). Dennoch: „Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln; denn sie sagen’s zwar, tun’s aber nicht“ (Verse 2–3). Der Sabbat war eines der Dinge, die man behalten und nicht aufgeben oder verändern sollte, nur weil ihn die Pharisäer durch ihre eigenen Traditionen mit unbiblischen Bedingungen und Zwängen überfrachtet hatten.
Jesaja 58, 13–14 zufolge sollte der Sabbat eine Lust sein, Anlass zur Freude, nicht zu Schwere und Bedrückung. Das kann er noch immer sein, wenn er so gehalten wird, wie er ursprünglich beabsichtigt war. Christus selbst bestätigte diese Sicht, als er sagte: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“ (Markus 2, 27). Er sollte etwas sein, was das Leben besser macht, nicht eine Last, die man ertragen muss.
„Frühe christliche Dokumente […] zeigen ausnahmslos, dass eine Abweichung von der Praxis des Sabbat stattfand. Nur weil die Kirche irgendwann anfing, den Sonntag zu feiern, kann man allerdings nicht davon ausgehen, dass sie schon immer den Sonntag gefeiert hat, oder dass sie den Sonntag vom 1. Jahrhundert an gefeiert hat.“
In der religiösen Literatur wurde Paulus lange als derjenige dargestellt, der das Christentum von seinen jüdischen Wurzeln entfremdete. Viele moderne Forscher haben begonnen, diese voreingenomene Darstellung zu hinterfragen, Paulus in seinem durch und durch jüdischen Kontext zu betrachten und zu sehen, dass er dachte und handelte wie Christus, dem er folgte. In Wirklichkeit war es von jeher und auch weiterhin Paulus’ klar erkennbare Praxis, den Sabbat zu halten: „[Sie kamen] nach Thessalonich; da war eine Synagoge der Juden. Wie nun Paulus gewohnt war, ging er zu ihnen hinein und redete mit ihnen an drei Sabbaten von der Schrift“ (Apostelgeschichte 17, 1–2; Kursivsetzung vom Autor).
DER TAG DES HERRN?
Heute ist die Meinung verbreitet, der Sabbat am siebten Tag sei dem Sonntag als Festtag gewichen, sei durch ihn ersetzt worden, mit folgender Begründung: „Die frühen Kirchenväter verglichen die Feier des Sabbat mit dem Ritus der Beschneidung, und anhand dessen zeigten sie, dass wenn die Apostel die Beschneidung abgeschafft hatten (Galater 5, 1–6), auch die Feier des Sabbat abgeschafft worden sein musste“ (Catholic Answers, „Sabbath or Sunday?“).
In der Passage des Galaterbriefs geht es eindeutig um Beschneidung und nicht um den Sabbat. Auch in Apostelgeschichte 15 ziehen weder Paulus noch die anderen Apostel einen solchen Vergleich. Sie verstanden, dass der Ritus der körperlichen Beschneidung für nicht jüdische Gläubige nicht mehr bindend war, aber sie stellten keinen Zusammenhang zwischen jener Praxis und dem Gebot her, den Sabbat zu halten.
Dies ist jedoch keine Schlussfolgerung aus dem, was nicht in der Bibel steht: Der Sabbat war ausdrücklich Thema der hier wiedergegebenen Diskussion. Als Jakobus aufstand und sprach, bezog er sich spezifisch auf den Sabbat (Apostelgeschichte 15, 21) als die Zeit, in der Nichtisraeliten und Juden in den Synagogen zusammenkamen (weil sie sich zu Gott bekehrten, Vers 19) und lernten, woran sie sich halten und was sie meiden sollten. Zu Letzterem zählten Götzen, Unzucht, Ersticktes und Blut – alles Aspekte heidnischer Kulte, von denen sie sich abwenden sollten, um sich zum wahren Gott zu bekehren. Als dieses Thema hier in Apostelgeschichte 15 besprochen wurde, hätten die Apostel leicht etwas an der Feier des Sabbats ändern können, aber offensichtlich stellte sich ihnen diese Frage nicht; was sie darüber in den Synagogen gelernt hatten, war weiterhin gültig.
James D. Tabor von der University of North Carolina in Charlotte stellt klar: „Alles deutet darauf hin, dass solche Heiden sich einem Lebensstil angepasst haben, der von Außenstehenden als jüdisch bezeichnet werden würde. Sie treffen sich nicht am Sonntag, sie halten Gottesdienste nicht in einer Kirche, sie wissen nichts von Ostern oder Weihnachten oder einem christlichen Kalender. Sie besuchen Versammlungen am Sabbat, dem siebten Tag, am Samstag.“
Es ist unlogisch, zu glauben, Paulus habe gelehrt, dass sich jüdische und nicht jüdische Gemeindemitglieder an verschiedenen Tagen versammeln sollten. Wie konnten sie je hoffen, eine zusammengehörige Kirche zu sein, wenn ihr Glaube und ihre Praxis nicht dieselben waren, sodass sie jede Woche getrennt voneinander Versammlung hatten?
Doch was ist mit dem Argument, aus der Bibel lasse sich ein Wechsel der gesamten Urkirche vom Sabbat zum Sonntag herleiten? Die Orthodox Study Bible enthält z. B. die Anmerkung: „Mit der Auferstehung Christi ist der Sabbat, welches der siebte Tag war, der Tag der Ruhe und Vorbereitung für den achten Tag geworden, den Sonntag (siehe Apostelgeschichte 20, 7).“
„Dass Paulus (sehr lange!) zu den versammelten Gläubigen sprach (Apostelgeschichte 20, 7–11), impliziert nichts über deren übliche Praxis, denn Paulus war ein besonderer Gast und wollte am nächsten Tag abreisen.“
Auf der beliebten römisch-katholischen Website Catholic Answers wird in dem bereits zitierten Artikel ebenfalls behauptet: „Apostelgeschichte 20, 7, 1. Korinther 16, 2, Kolosser 2, 16–17 und Offenbarung 1, 10 deuten darauf hin, dass bereits zu neutestamentlicher Zeit der Sabbat nicht mehr bindend ist und dass Christen stattdessen am Tag des Herrn, Sonntag, Gottesdienst halten sollen.“ Zeigt die Bibel, dass die Urkirche sich vom Sabbat löste und stattdessen den ersten Tag der Woche als „Tag des Herrn“ feierte?
Wo in diesen Schriftstellen die Rede von einer Zusammenkunft ist, beziehen diese sich auf einen spezifischen Zweck: zum Brotbrechen, zum Gespräch, zur Vorbereitung einer Geldspende für bedürftige Gemeinden in der Fremde. Keine dieser Stellen erwähnt einen formellen Gottesdienst am ersten Tag der Woche, und das Brotbrechen ist nicht das Gleiche wie das Passamahl, das jährlich begangen wurde, nicht wöchentlich (siehe 3. Mose 23, 4–6). Nirgendwo im Neuen Testament findet sich eine Anweisung für die Christusgläubigen, den Zeitpunkt oder die Häufigkeit des Passafests zu ändern. Der Begriff „Brotbrechen“ bezog sich ursprünglich nicht einmal auf irgendeine bestimmte religiöse Praxis. Wenn die Urkirche zusammenkam, um Brot zu brechen, war das einfach ein Essen mit Gleichgesinnten.
Brotbrechen
Wenn in der Bibel steht, dass frühe Christusgläubige zusammenkamen, um Brot zu brechen, beweist das, dass sie bei wöchentlichen Versammlungen Abendmahl oder Eucharistie feierten?
Der Ausdruck das Brot brechen „bezog sich oft auf den Beginn einer Mahlzeit“, informiert das Anchor Yale Bible Dictionary und fährt fort, dies sei „eine übliche Praxis Jesu vor Mahlzeiten“ gewesen; diese Praxis „wurde von den frühen Christen in ihrem täglichen Beisammensein fortgesetzt (Apostelgeschichte 2, 46)“.
„Im Neuen Testament wie im zeitgenössischen Judentum ist das Brotbrechen zu Beginn einer Mahlzeit keine kultische Handlung, nicht einmal in Verbindung mit Danksagung oder Lobpreis“ (Theological Dictionary of the New Testament).
Der prominente Bibelwissenschaftler E. W. Bullinger schrieb entschieden: „,Brot brechen‘ bedeutet nicht, am Abendmahl teilzunehmen, sondern an einer gewöhnlichen Mahlzeit mit anderen teilzunehmen. […] ,Brot‘ (etwas zum Essen) steht für alles Essen (oder Fleisch), und das Brechen ist lediglich eine Entsprechung für Schneiden oder Tranchieren“ (Figures of Speech Used in the Bible).
Aber was ist mit Offenbarung 1, 10, wo der Apostel Johannes einleitend schreibt: „Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn“? Die meisten Kommentatoren, die den Sonntag feiern, berufen sich hierauf als klaren Beweis, dass die Anhänger Jesu schon vor dem Ende des 1. Jahrhunderts den Sonntag feierten, doch die wissenschaftliche Debatte hierüber wurde alles andere als zu Ende geführt. Ein Argument dabei ist, dass Johannes keinen plausiblen Grund hatte, den Tag der Woche zu nennen, an dem er die Vision hatte; für den Kontext des Buchs ist dies nicht von Bedeutung.
Angesichts des Fehlens von zusätzlichen biblischen oder anderen Bestätigungen für die Behauptung, die Urkirche habe den Sonntag gefeiert, ist eine andere Auslegung dieses Verses weit einleuchtender: Johannes leitet seinen Bericht damit ein, was Christus ihm in einer Vision über die Zukunft offenbarte– eine Zeit, die bei den Propheten als „Tag des Herrn“ bezeichnet wird (siehe z. B. Jesaja 13, 6; Jeremia 46, 10; Joel 1, 15; Obadja 1, 15; Sacharja 14, 1). Tatsächlich meint er also: „Ich hatte eine Vision, in der ich zum Tag des Herrn entrückt wurde.“
Den ersten (oder „achten“) Tag für besser zu halten als den siebten ist bestenfalls vermessen und irregeleitet. Die Anweisungen der Bibel abzutun und einen neuen Tag des Gottesdiensts einzuführen ist eine Änderung, die weder Basis noch Rechtfertigung hat, denn schließlich lehrte Jesus: „Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht“ (Matthäus 5, 18).
WELCHE ALTEN?
In einer Sache hatte Thomas von Aquin Recht: Der Führung derer, die uns vorausgegangen sind, richtig zu folgen, bringt Einheit in Glauben und Praxis. Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist nur, wer diese „Alten“ sind. Für die, denen es darum geht, der Lehre Christi und der Praxis der Kirche zu folgen, die er gegründet hat, ist die Entscheidung zwischen Sabbat und Sonntag ganz klar.